Krumme Gurke- und Globus-Kund*innen wissen, dass nördlich der Alpen noch keine lila Kuh gesichtet wurde. Auch, dass die Radieschen nicht im Regal wachsen. Aber woher kommen eigentlich die Backwaren an der Brottheke? Wir suchten die Antwort in Berlin.
Die meisten Brote, die der Bioladen verkauft, stammen aus der Bäckerei Märkisches Landbrot Genau wie 16 andere Berliner und Brandenburger Biobäckereien öffnet sie zur Woche der offenen Backstuben ihre Pforten und geheimen Hintertürchen. Genau diese Bäckerei ist auch jene, in der unsere Alumna Katja Noll arbeitet, wir berichteten.
Schon von außen, aus dem Neuköllner Industriegebiet heraus ist zu sehen, wie die Menschen in dieser Bäckerei ticken; ein bisschen anders als die anderen um sie herum. „Es gibt immer einen Anfang für das Bessere“ haben sie sich auf die Fahnen geschrieben.
Die Fassade ist begrünt, auf einem Vordach über dem Eingang blüht Schnittlauch. Die Tür zieren zahllose Aufkleber à la „Atomkraft nein Danke“. Daneben hängt eine EMAS-Plakette, mit der Nummer 00001 – Märkisches Landbrot wurde als erstes Berliner Unternehmen für seine Umweltleistungen mit dem Label versehen. Die Bäckerei war auch die erste, die 2012 eine Gemeinwohlbilanz (Link)durchführte.
Neben der Lieferanteneinfahrt plätschert ein Feng-Shui-Brunnen vor sich hin, im Gebüsch verbirgt sich ein Insektenhotel. Ein junger Künstler hat vor Jahren eine Wand mit Darstellung der drei Elemente verschönert, die das Demeter-Getreide, das verbacken wird, zum Wachsen braucht. Guten Boden, Wasser und Sonnenschein hat es in Brandenburg, wo Vertragsbauern und –bäuerinnen es anbauen. Das Wasser für den späteren Teig stammt aus einem eigenen Brunnen, es durchläuft einen Kiesfilter und eine Wasserbelebungsanlage.
Nur das Feuer ist nicht draußen dargestellt, sondern drinnen an den Öfen als Drachen-Graffitti. Da geht es auch heiß her, wenn die Brote backen. In der Backstube flirrt die Luft und macht den Bäcker*inberuf noch ein bisschen härter. Spät abends bis nachts wird hier wie am Fließband gearbeitet, aber eben nicht am Fließband. Jedes Brot ist von Menschenhand geknetet, abgewogen, bemehlt, in Formen gelegt. Jedes einzelne ein Stück Handarbeit. Fertigprodukte gibt es hier nicht, deshalb darf man für einige Brotsorten über 9 Euro je Kilo auf den Tisch legen. Nur durch herausragende Qualität der Backwaren bleibt die Bäckerei konkurrenzfähig.
Im Discounter zahlt der/die geneigte Kund*in einen Bruchteil davon. Er oder sie erhält allerdings ein auf die Schnelle gefertigtes Teigprodukt, womöglich über hunderte Kilometer herangekarrt, bestenfalls aufgebacken, gepimpt mit allerlei Hilfsmittelchen, die den Teig maschinengängig machen.
Unter dem Dach des Märkischen Landbrotes findet jeder Schritt vom Korn zum fertigen Brot statt; Getreide wird angeliefert, dann frisch in Steinmühlen vermahlen. Dabei erwärmt sich das Mehl nur auf etwa 40 Grad, in konventionellen Bäckereien kann es durch die Reibung in schnelleren Mühlen doppelt so heiß werden.
Das körperwarme Mehl ist Grundlage für den Natursauerteig, der in großen Bottichen in der Backstube geht. Ganz in Ruhe, bis zu 19 Stunden lang. Je länger die Teigführung, desto länger hält sich das Brot später frisch, bekömmlicher wird es auch. Qualitätsfaktor Zeit (lassen).
Nach dem Teig duftet es auch in der Backstube (die eher eine Backhalle ist); mild hefig, irgendwie lecker, auch wenn noch nichts gebacken wurde. Denn vormittags, wenn die Bäckerei ihre erste Führung anbietet, ist gerade nicht allzu viel los. Die Sauerteigkulturen arbeiten schweigsam vor sich hin. Die Öfen kühlen noch ab, einige wenige Bäcker*innen bereiten Zutaten für die nächste Schicht vor, sie holen Trockenfrüchte aus kleinen Kühlkammern in der Halle, raspeln frische Möhren und rösten Sonnenblumenkerne. Abends muss alles fertig sein, damit von neuem tausende Brote abgebacken werden können. Die werden an über 250 Verkaufsstellen in Berlin und Brandenburg geliefert, bevor die Kundschaft ihr Frühstücksbrot kaufen kann – ob Dinkel-Früchte oder Brodowiner, Marcbrötchen oder Möhre-Walnuss. Um die 50 Sorten Backwerk verlassen die Hände der Bäcker*innen.
Die Backstube liegt Tür an Tür mit der Bio-Konditorei Tillmann, die ebenfalls besichtigt werden kann. Dort rotieren um 11 Uhr schon Törtchenböden für den nächsten Tag im Ofen. Blechkuchen, Apfelstrudel, Mandelhörnchen, Mohnschnecken und Sahnetorten werden hier gezaubert, in zwei Schichten, erst ab Mitternacht, dann ab 3 Uhr früh. Montags bis samstags sind die dann an über 100 Verkaufsstellen erhältlich.
Natürlich muss alles blitzblank sein, genau wie beim Märkischen Landbrot. Es darf niemand mit ungewaschenen Fingern vom Teig naschen. Mehrmals wöchentlich werden die Böden unter Wasser gesetzt und geschrubbt. Wer die Halle betritt, trägt ein Haarnetz, Füßlinge samt weißem Kittel (aus Bio-Baumwolle). Es gibt einen extra Spül- und Abwiegebereich, Desinfektionsmittel und einen Ei-Aufschlagplatz. Nette Ideen für die Studi-Küche, oder?
Eigelbe etwa werden gleich literweise für die nächste Schicht abgefüllt. Die Türen von Konditorei und Bäckerei bleiben verschlossen, damit sich weder Staub noch Tiere hinein verirren. Nur ein „Haustier“ wird immer im Lager des Märkischen Landbrots gehalten: Millimeter kleine Schlupfwespen, die eventuelle Mehlwürmer töten. Diese biologische Schädlingsbekämpfung führte die Bäckerei ein, nachdem eine Studi-Diplomarbeit das Konzept dazu erarbeitet hatte. Apropos Konzept schon mal den Product-Carbon-Footprint vom eigenen Brot errechnet? Das geht hier.
Da während der Führung alle so tapfer an getrockneten Datteln, Kräutermischungen, Tortenböden und Nougatringen vorbeigegangen waren, gab es anschließend noch eine Brotverkostung. Als Nachtisch steuerte die Konditorei Germ-Kuchen (wie Germknödel, nur auf dem Blech) bei. Einstimmiges Urteil: Bonfortionös.
Wer selbst in Bio-Backstuben hinein schnuppern möchte, kann noch bis zum 9. Mai durch die offenen Türen treten. Der rbb war auch schon da etwa ab Minute 9.
Comments