Anlässlich des Internationalen Tages des bäuerlichen Widerstands am 17.04.2020 spreche ich Paula Gioia von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und der global agierenden Bauernorganisation La Via Campesina (spanisch für „der bäuerliche Weg“). Der Gedenktag erinnert seit 24 Jahren an eine brutale Niederschlagung protestierender Menschen der Landlosenbewegung im brasilianischen Eldorado dos Carajas. Damals wurden 20 Demonstrant*innen auf dem Weg zu einer Landbesetzung von der Polizei erschossen, viele weitere verletzt.
Foto: Paula Gioia
Paula, Du bist seit vielen Jahren bei La Via Campesina aktiv, dem weltweit größten Netzwerk bäuerlicher Landwirtschaft. Was sind derzeitig Baustellen an denen ihr als Organisation arbeitet?
Es gibt viele verschiedene Themen, an denen wir arbeiten und zu diesen Themen viele unterschiedliche Strategien und Herangehensweisen, aber unser Fokusthema, an dem wir nun schon seit einigen Jahren arbeiten, ist das Thema der Bauernrechte. Hierfür setzen wir uns seit über 17 Jahren ein. 2018 ist es uns gelungen, eine Menschenrechtserklärung, die von der UN- Generalversammlung verabschiedet wurde, durchzubringen: Die Erklärung für die “Rechte von Kleinbauern und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten“. Ein Meilenstein unserer Arbeit. Insgesamt umfasst die Erklärung 29 Artikel. Unter den dort aufgeführten Rechten, ist zum Beispiel das Recht auf Land und das Recht auf Saatgut verankert. Aber damit ist die Arbeit natürlich noch nicht am Ende. Damit diese Erklärung nicht nur ein Stück Papier bleibt, sondern auf jeweils nationaler Ebene umgesetzt wird, müssen wir auch weiterhin am Ball bleiben. Weil diese Erklärung unser Kernthema darstellt, haben wir auch anlässlich des Gedenktages einige Aktionen rund um das Thema organisiert. Ein Beispiel ist das von uns entwickelte Comic, das die UN-Erklärung in Bilder übersetzt. Denn: Nicht alle Bäuerinnen und Bauern können lesen. Hinzu kommt, dass eine solche Erklärung viele juristische Begriffe verwendet, die wenig verständlich sind. Mit dem Comic versuchen wir, die Erklärung für alle verständlich zu machen und sie so in die Breite zu bringen. Sowohl innerhalb der Bewegung als auch in die Politik und andere zivilgesellschaftliche Sektoren.
Ihr seid ein globales Netzwerk an Lebensmittel produzierenden Menschen, Fischer*innen, Imker*innen, Bäuerinnen und Bauern. Lebensmittelproduktion findet doch aber lokal statt, warum ist es wichtig, über Ländergrenzen hinweg Netzwerke zu bilden, wenn die landwirtschaftlichen Bedingungen zum Beispiel hier in Brandenburg ganz andere sind als in einer Provinz in Uganda?
Zuerst würde ich uns nicht nur als Netzwerk bezeichnen, sondern als soziale Bewegung. Das macht einen großen Unterschied. Wir sind nicht nur lose vernetzt. Wir haben eine klare Struktur und sind gut organisiert, haben Prinzipien, ein geteiltes Selbstverständnis, eine klare politische Ausrichtung. Du hast Recht, wenn du sagst, dass Lebensmittelproduktion lokal stattfindet. In den meisten Teilen der Welt trifft das zu. Allerdings nicht in Europa. Hier sind wir unglaublich abhängig von Importen. Das zeigt: Es wird zwar lokal produziert, aber überwiegend nicht für den lokalen Markt. Wir wollen zurück zu einer in erster Linie lokal verankerten Lebensmittelproduktion. Unser derzeitiges Ernährungssystem im globalen Norden, das nicht im Stande ist, souverän zu sein und damit abhängig ist, hat schwerwiegende Auswirkungen auf Ernährungssysteme, die woanders sind. Darüber hinaus sind viele Probleme, mit denen wir hier vor Ort konfrontiert sind, ganz ähnliche Probleme, mit denen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auf der ganzen Welt zu kämpfen haben. Das ist mir ganz deutlich bewusst geworden, als ich an einem internationalen Treffen von La Via Campesina teilgenommen habe, bei dem es um das Thema Landvergabe ging. Ich war damals im Bündnis junge Landwirtschaft (BjL) aktiv und habe viel zu Landgrabbing in Ostdeutschland gearbeitet. Auf dem Treffen habe ich mich mit Menschen aus Brasilien, Australien und afrikanischen Ländern ausgetauscht. Dort ist mir aufgefallen, dass wir sozusagen alle dieselbe Sprache sprechen, wenn es um das Thema Land geht. Die Probleme sind sehr ähnlich. Ich glaube, dass die globale Organisation uns Kraft gibt. Durch sie können wir gemeinsam mit einer Stimme darüber sprechen, was weltweit passiert. Die Themen sind nicht isolierbar. Ein weiterer Vorteil ergibt sich, wenn zum Beispiel ein ausländischer Konzern massiv Landgrabbing in einer Region betreibt: Da wir global organisiert sind, können wir sowohl in den betroffenen Regionen protestieren als auch direkt vor dem Firmensitz des jeweiligen Konzerns. Du siehst: Es gibt viele Gründe, weshalb es Sinn macht, sich global zu organisieren.
Heute ist der Tag des bäuerlichen Widerstands. Widerstand, das ist ein selten gehörtes Wort in diesen Tagen. Überall pausieren Menschen ihre Protestkämpfe und Widerstandsaktionen aufgrund der Corona-Krise. Was bedeutet Widerstand für dich in diesen bewegten Zeiten?
Aus bäuerlicher Sicht bedeutet das, weiterhin gute Lebensmittel zu produzieren. In meinen Augen ist die agrarökologische Lebensmittelproduktion an sich schon Widerstand. Derzeit gibt es viele Hindernisse für kleinbäuerliche Betriebe, ihre Lebensmittel abzusetzen. Bäuerliche Betriebe vermarkten meistens nicht an den Großhandel, sondern eher an kleine Läden, Restaurants, Kantinen und über Wochenmärkte. Das führt in der derzeitigen Situation häufig zu Schwierigkeiten. In Sachsen Anhalt, wurden zum Beispiel aufgrund der Coronakrise kurzzeitig die Wochenmärkte geschlossen. Doch wenn diese Vermarktungswege wegbrechen, dann sind viele kleine Betreibe massiv gefährdet. Widerstand bedeutet in diesen Fällen, sich gegen solche Maßnahmen zu wehren und die Versorgung mit Lebensmitteln nicht nur den großen Konzernen zu überlassen, die vor allem über Supermärkte vermarkten. In Sachsen Anhalt konnte die Schließung der Wochenmärkte durch Protest wieder aufgehoben werden. In Spanien, Italien und Frankreich erschwerten die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie massiv den Zugang zu den eigenen Äckern. Dort herrschen gerade sehr viel drastischere Ausgangssperren als hier. Bäuerinnen und Bauern konnten dort in einigen Fällen ihre Äcker nicht mehr betreten, um ihre Arbeit zu verrichten. In solchen Situationen bedeutet Widerstand genau dies eben doch zu tun. Nicht nur aufgrund der Gefahr eines ökonomischen Totalausfalls, sondern auch aus einer solidarischen Grundhaltung heraus mit Blick auf die Versorgung der dortigen Gemeinschaften. Anlässlich des 17. Aprils haben wir von La Via Campesina unter dem Motto #StayHomeButNotSilent mobilisiert und eine Art Onlinedemo organisiert. Meines Erachtens war das sehr erfolgreich. Zusammen mit sieben verbündeten Organisationen weltweit waren wir laut!
Talking about Corona: Auch in der Landwirtschaft stehen wir coronabedingt vor neuen Herausforderungen. Globale Lieferketten brechen zusammen, Saisonarbeiter*innen können in einigen Ländern nicht einreisen,- es liegt auf der Hand: Unsere Lebensmittelproduktion ist wenig krisensicher. Wie stellst du dir eine krisensichere landwirtschaftliche Produktion vor?
Schon lange vor Corona haben wir auf strukturelle Probleme aufmerksam gemacht. Schon 1996 hat La Via Campesina das Konzept der Ernährungssouveränität vorgestellt. Die UN, genauer die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) hat damals vor allem das Konzept der Ernährungssicherheit propagiert. Bei diesem Konzept geht es vor allem darum, abzusichern, dass Menschen an Lebensmittel kommen. Das ist letztendlich sehr humanitär gedacht. Dabei geht es nicht um die Überwindung von Abhängigkeiten, oder darum, dass die Menschen selbst die Mittel in die Hand bekommen, um sich aus der Abhängigkeit zu befreien. Das Konzept der Ernährungssouveränität greift hingegen viel tiefer. Hierbei geht es darum, die Produktionsmittel den Menschen zugänglich zu machen, damit lokal und dezentral produziert werden kann. Wie abhängig wir von globalen Produktionsketten sind, lässt sich momentan leicht an dem Mangel an medizinischen Schutzmasken und Desinfektionsmitteln ablesen. Weil Deutschland so wie die meisten Länder, die Produktion dieser Güter beinah gänzlich nach China ausgelagert hat, zeigt sich jetzt, wie krisenanfällig eine solch zentrierte Produktion ist. Ähnlich ist es bei der Lebensmittelproduktion, wobei bei der Lebensmittelproduktion die kulturellen Unterschiede nicht vergessen werden sollten. Hinzu kommt, dass Lebensmittel eng verzahnt sind, mit Traditionen und kulturellen Bräuchen. Die einhergehende Zentralisierung der Lebensmittelproduktion führt dazu, dass unsere Essensgewohnheiten immer homogener werden und eine Menge kultureller Bräuche verloren gehen.
„Systemrelevant“ ist im Moment ein häufig genutzter Begriff. Damit gemeint sind Berufsgruppen, deren Tätigkeit für ein funktionierendes Gemeinwesen unerlässlich ist. Neben Mediziner*innen, Pflegekräften und Kassierer*innen zählen auch Bäuerinnen und Bauern zu dieser „kritischen Infrastruktur“, die es aufrecht zu erhalten gilt. Versprichst du dir von diesem Titel eine gesteigerte Wertschätzung für den bäuerlichen Berufsstand?
Das wäre auf jeden Fall schön. Denn schon seit vielen Jahrzehnten, eigentlich seit der Industrialisierung der Landwirtschaft, nimmt die Wertschätzung für Lebensmittel ab. Das lässt sich auch monetär nachvollziehen, wobei ich bei Wertschätzung nicht nur an Vergütung denke. Trotzdem: schaut man sich an, wie viel Prozent eines Monatslohns jeweils in den letzten Jahrzehnten für Lebensmittel ausgegeben wurden, wird deutlich, dass der Anteil immer geringer wird. Damit einher geht auch ein Verlust an sozialer Wertschätzung für die Tätigkeit. Vor der Coronakrise waren viele Bäuerinnen und Bauern auf den Straßen, um genau das einzufordern: Mehr Wertschätzung. Ich würde mir allerdings wünschen, dass wir keine Krise bräuchten, um wieder zu einer gesteigerten Wertschätzung zu gelangen. Genauso wünsche ich mir das für Menschen, die an der Kasse arbeiten, Lehrer* innen und Pflegekräfte. Aber vielleicht brauchen wir ja Krisen, um das wieder zu erlernen…
Neben Studierenden der HNEE lesen auch Absolvent*innen diesen Blog, die jetzt in der praktischen Landwirtschaft arbeiten. Gibt es etwas, was du diesen Menschen mit auf den Weg geben möchtest?
Mich ermutigt es, zu sehen, dass es weiterhin Menschen gibt, die ihre Zeit und Energie und letztendlich damit ihr Leben in so eine Tätigkeit wie die Lebensmittelproduktion reinstecken wollen. Und, dass trotz mangelnder Wertschätzung und schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen Menschen da sind, die die Hoffnung nicht verlieren, dass man trotzdem etwas verändern und bewirken kann. Ich wünsche den Lesenden, dass sie diese Vision nicht auf dem Weg verlieren, wenn sich Widerstände regen. Gemeinsam können wir mit vielen kleinen Taten in vielen kleinen Orten die Agrarwende zum Rollen bringen und die Welt verändern.
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