Fünf Tage, viele Perspektiven – Einblicke in landwirtschaftliche Betriebe in Niedersachsen
- Carla; Ludwig
- 19. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Im Rahmen des Moduls “Geschäftsmodelle in der Land- und Ernährungswirtschaft” fuhren 19 Studierende 5 Tage durch Niedersachsen und schauten sich verschiedene landwirtschaftliche Betriebe an. Es ging darum zu sehen, wie unterschiedlich Betriebe organisiert und geführt werden können und welche Herausforderungen jeweils im Vordergrund stehen. Spoiler: Ausnahmslos alle Höfe müssen mit den Folgen des Klimawandels klarkommen und versuchen, betriebsindividuelle Antworten zu finden. Die diesjährige Dürre und der daraus folgende Hitzestress für Grünland und Ackerpflanzen wurde oft betont.
Tag 1: Biohof Ritzleben und Kartoffel Nord
Der Tag fing schon aufregend an, da einige Leute aus Versehen einmal über die Elbe fahren mussten und so einen Fähr-Ausflug machen konnten. Super! Streng genommen waren wir heute teilweise noch in Sachsen-Anhalt. Carsten Niemann führte uns dort über den Betrieb, den seit einigen Jahren seine Tochter Laura Kulow leitet. Seitdem gibt es beispielsweise ein Agroforst-Projekt. Der Hof hat schon eine lange Geschichte und existiert seit der Wiedervereinigung. Carsten erläuterte uns die landwirtschaftliche Situation nach der Wende und mit welchen Vorurteilen sich Ost- und Westbäuer*innen damals teilweise begegneten. Interessant war danach auch der Besuch bei der Biokartoffel Nord GmbH. Dort ist Carsten geschäftsführend tätig und hat zusammen mit anderen Landwirten aus der Region eine Erzeugergemeinschaft aufgebaut, um die Bio-Kartoffeln zur verarbeiten, die sonst schwerer verkauft werden können. Dort werden Kartoffelflocken und Kartoffelstärke für die Weiterverarbeitung und Gastronomie hergestellt.
Der Tag heute machte klar: Wenn wichtige Strukturen fehlen, lohnt es sich, sich zusammenzuschließen und das Angebot selbst zu schaffen.

Tag 2: Hof Tangsehl und Odefey & Töchter
Morgens fuhren wir zum Hof Tangsehl, eine GbR bestehend aus 6 Menschen, beziehungsweise 3 Paaren. Der Hof liegt im nordöstlichen Landkreis Lüneburg und wird mit Milchvieh, Schweinen, Hühnern und vielfältigem Gemüseanbau bewirtschaftet. Das Gemüse, die Eier, das Fleisch sowie Milch und Milcherzeugnisse können sich die Mitglieder der SoLaWi wöchentlich abholen. Dabei wird den Mitgliedern Vertrauen entgegengebracht, denn sie können sich im Lager selbst bedienen. Jede*r hat Anspruch auf 4 Kilo Gemüse und Kartoffeln, 4 Eier, 400-600g Fleisch und 8 Liter Milch oder eine gewisse Menge Milchprodukte für deren Herstellung 8 Liter Milch verwendet wurden. Herausfordernd erschien die Entscheidungsfindung und Koordination innerhalb einer GbR mit 6 Betriebsleiter*innen, besonders wenn alle auf einem Hof leben und sich somit auch das Privatleben überschneidet. Dennoch schien es so, als hätten sie Wege gefunden, Konflikte zu klären und diese Situation zu meistern. Es war beeindruckend zu sehen, wie die Gründer*innen einen so vielfältigen Ort der Begegnung erschaffen haben.

Nach einer Mittagspause, die wir in der Sonne auf dem Hof Tangsehl verbrachten, ging es nach Uelzen zu Lars Odefey, der uns seinen Betrieb Odefey & Töchter zeigte. Der HNEE-Alumnus bewirtschaftet gemeinsam mit zwei Vollzeitmitarbeitern und ein paar Aushilfen eine kleine Fläche mit Masthühnern und anderem Geflügel in Weidehaltung. Das Geflügel, darunter beispielsweise Perlhühner und saisonal auch Enten, hält Lars qualitätsorientiert in Mobilställen. Vermarktet wird das edle Geflügel zum größten Teil an die Gastronomie. Auf dem Hof wird es geschlachtet und dann in isolierten Kartons ins ganze Land verschickt. Besonders enthusiastisch erzählte Lars Odefey uns auch von der Einrichtung seiner Photovoltaikanlage und seines Windrads, die er stolz zeigte. Ein tolles Beispiel für einen Betrieb, der seine Nische gefunden und ausgebaut hat.
Tag 3: Bauck GmbH und Lohmannshof und Stoffers Hoff
In der Mühle in Rosche der Bauck GmbH wurden wir am Mittwochmorgen mit Kaffee und belegten Brötchen in einem Konferenzraum empfangen. Der Geschäftsführer der Roscher Mühle, Sebastian Huber, stellte uns in einer Präsentation den Betrieb und seine Entstehungsgeschichte vor. Es ging schnell in eine Fragerunde über, in der wir Studierenden unsere Fragen an ihn richten konnten. Besonders wurde dabei auf die Handelsbeziehungen zwischen Landwirt*innen und der Mühle sowie die der Mühle und des Einzelhandels eingegangen und wie diese sich jeweils beeinflussen. Es war spannend, die daraus resultierenden Abhängigkeitsverhältnisse aus einer neuen Perspektive erläutert zu bekommen. Auch der Verkauf von Produkten der Bioverbände in Discountern wurde thematisiert und auch kritisiert.
Der Produktionsleiter führte uns durch die 7 Stockwerke der riesigen Mühle und erklärte uns, mit ohrenbetäubendem Lärm im Hintergrund, wie die ganzen Maschinen der Haferverarbeitung funktionieren. Es war äußerst spannend mitzubekommen, wie viel Technik in der Herstellung von einfachen Haferflocken steckt. Der Besuch dieses Betriebes war das reinste Kontrastprogramm zu den zuvor gesehenen Betrieben, nicht nur da es kein landwirtschaftlicher, sondern ein lebensmittelverarbeitender Betrieb war, sondern auch wegen der Größe, des Grades an Technologie und der ökonomischen FRagestellungen.

Danach ging es zum Lohmannshof in Dörverden. Hier wurden wir von Amelie herzlich in Empfang genommen. Sie übernahm vor 3 Jahren den elterlichen Hof. Der vielfältige Betrieb hat neben Ackerbau, Feldgemüse, Gärtnerei, Schafen und Hühnern auch noch eine Backstube, die wir besichtigen konnten. Aber auch die Vermarktungswege des Betriebes sind vielfältig ausgerichtet. Ein Teil der Produkte wird über den Hofladen verkauft, Feldgemüse aber auch über den Bio-Großhandel und auch auf Märkten ist der Lohmannshof vertreten. Der Hof setzt sich auch für die regionale Gemeinschaft ein und organisiert Feste und Events wie etwa den “Bienennachmittag” mit Honigschleudern für Kinder oder den “Kartoffeltag”.
Dann ging es weiter: Elisabeth Fresen, Betriebsleiterin des Stoffers Hoff, verdeutlichte uns die enormen Klimaveränderungen der letzten Jahre. 2024 überschwemmte ein Hochwasser den Memberg (ein “Berg” direkt auf Elisabeths Flächen) und machte die umliegende Weide unbenutzbar. Zaunteile schwemmten kilometerweit weg. Dieses Jahr erlebt sie die trockenste Zeit seit den Wetteraufzeichnungen und teilte mit uns ihre Fassungslosigkeit. Elisabeth hat ein ähnliches Vermarktungskonzept wie Lars Odefey und vermarktet ihr Rindfleisch zu großen Teilen an Restaurants in Bremen. Sie bringt ihren Enthusiasmus und ihre Überzeugungskraft mit in die Restaurants und erzählt dort vom Hofalltag und wie die Tiere gehalten werden.
Tag 4: Gemeinschaftsstiftung Hof Pente und Kleefeldhof
Auch an diesem Tag stachen die Kontraste zwischen den besuchten Höfen klar hervor. Zuerst besuchten wir Hof Pente mit einem ganzheitlichen Ansatz, der nicht nur betriebliche Kreisläufe im Sinne der Natur im Blick hat, sondern auch durch einen Hof-Kindergarten und sogar eine eigene (!) Schule probiert, die Lernfelder Landwirtschaft und Ernährung im großen Kontext zu sehen. Zum einen gibt es die große SoLaWi, in der versucht wird, Nahrungsmittel und Natur wieder näher an die Menschen zu bringen. Daneben gibt es verschiedene landwirtschaftlich genutzte Tiere wie Enten, Schweine und ein paar Mutterkühe. Zum anderen wird in der Landwirtschaft zum ersten Mal versucht Hafer auf Dämmen anzubauen, um dem alarmierenden Wassermangel entgegenzutreten.
Danach ging es weiter zum Kleefeldhof, der von dem jungen Landwirt Wilm und seinem Vater Dirk Bringewatt bewirtschaftet wird und als einziger das Höfesterben im Ort überlebt hat. Sie setzen hauptsächlich auf einen Betriebszweig und kaufen Ferkel zu und mästen sie bis zum Erreichen der Schlachtreife. Danach werden die Tiere über ihre Erzeugergemeinschaft geschlachtet, verarbeitet und vermarktet. Das Futter für die Schweine wird selbst angebaut und in einer großen Mühle in der Region vermahlen. Ein kleiner Hofladen zum Selbstbedienen ermöglicht es, frische Eier aus dem Hühnermobil und Schweinefleisch zu kaufen.
Unterschiedlicher hätten die Betriebe kaum sein können. Hier zeigt sich sehr deutlich, wie Betriebsstrukturen und die Ausgestaltung der Produktionsverfahren sehr stark vom Charakter und den Vorstellungen der Betriebsleiter*innen abhängen. Umso mehr eine Ermutigung, die eigenen Ideen nicht nur in Frage zu stellen, sondern mehr darauf zu vertrauen.

Tag 5: BioBördeland
Der Abschluss auf dem heutigen Hof war ein langes Gespräch mit Tilo Grefe-Huge, einem der vier Geschäftsführer*innen von BioBördeland. Er sprach mit uns über die Notwendigkeit, eine Erzeugergemeinschaft aus vier Höfen zu gründen, da sonst keiner der Betriebe wirtschaftlich so erfolgreich sein könnte. Mittlerweile existiert nur noch ein weiterer Betrieb im Dorf. Der Zusammenschluss mache es möglich, in Maschinen und Ausstattung zu investieren, die den Betriebsablauf viel effizienter machten. Neben einem neuen zweireihigen Kartoffelroder und riesigen Kartoffellager fahren zwei Feldroboter fast rund um die Uhr auf dem Feld und hacken das Unkraut. Besonders spannend waren auch die Einblicke, die uns Tilo über die Betriebsorganisation gegeben hat. Eine klare Aufteilung der Kompetenzen und Aufgabenbereiche und das gegenseitige Vertrauen, stachen hervor.
Am Ende durften wir uns im Erdbeerfeld bedienen und hatten so ein großartiges Ende der Exkursionswoche.

Allgemein konnten wir uns sehr über die Offenheit der Betriebsleiter*innen freuen, die uns einen guten Einblick in ihre Betriebe gewährten. Es machte Spaß, die verschiedenen Geschäftsmodelle kennenzulernen und mehr über die Motivationen, Herangehensweisen und praktische Ausübungen der Gründer*innen zu erfahren. Besonders der Facettenreichtum der besuchten Betriebe war ermutigend, da klar wurde, dass jede*r seine/ihre Nische und passende Geschäftsstrategie finden kann. Natürlich wurden wir auch mit den Herausforderungen der Landwirtschaft konfrontiert. Fast alle beklagten Bürokratie, erschwerte klimatische Bedingungen durch die Folgen des Klimawandels, die steigenden Produktionskosten und teilweise die Abhängigkeit und das Preisregime des Lebensmitteleinzelhandels. Trotz dieser Rückschläge und Hindernisse wirkten die Bäuer*innen überzeugt von ihrer Sache und wir sind dankbar für die Dinge, die wir von ihnen lernen konnten. Ein großes Dankeschön geht auch an Dr. Marianne Nobelmann und Prof. Dr. Anna Maria Häring, die diese Exkursion planten, organisierten und begleiteten.

Comments