Ein Beitrag von Jasmin Dölle
photo credits go to Roberta Kolkmann
TAG 1//Urlaub (fast wie) in Italien
An einem sonnigen Tag im Monat Mai brachen wir auf zum Projektpraktikum in die Lüneburger Heide. Mit zwei HNEE-Bussen und einem kleinen roten Flitzer düsten wir am Sonntagmorgen in die Hansestadt Lüneburg. Die Stadt begrüßte uns mit Sommerhitze und Sonntagsruhe in den kleinen Gassen, die sich zwischen ulkigen krummen Fachwerkhäuschen schlängeln. Persönlich empfangen wurden wir von der Stadtführerin und Geschichtenerzählerin Edeltraud Strunk, die unseren Spaziergang durch die Lüneburger Altstadt mit ihrem scheinbar unendlichen Repertoire an Anekdoten über die Stadt bereicherte. Auch wenn während der Führung einige belustigte Blicke über die Erzählweise ausgetauscht wurden, hatten viele von uns doch am Ende das Gefühl, mehr gelernt zu haben als bei so manchen anderen Stadtführungen. Unsere Tour endete im historischen Hafenviertel wo früher das Salz verladen wurde. Nachdem wir unsere Unterkunft bezogen hatten, stürzten wir uns ins Nachtleben der Salzstadt. Diesen lauen Sommerabend dann mit einem Glas Wein und Pasta im Straßenlokal ausklingen zu lassen, könnte nicht schöner sein als ein Urlaub in Italien.
TAG 2// In jede Schnucken-Herde auch ein paar LANUs
Am zweiten Tag steuerten wir dann unser eigentliches Ziel an, eine ländliche Region westlich von Lüneburg, die malerische Landschaft der Lüneburger Heide. Dort angekommen, starteten wir umgehend zu einer Wanderung in die Berge oder eher auf einen Hügel, genannt der Wilsender Berg. Dieser ist mit einer Höhe von 169,2 m der ganze Stolz der Heidjer. Der (beschwerliche) Aufstieg auf den Berg zahlte sich mit einer atemberaubenden Aussicht aus. Man kann an wolkenlosen Tagen die Türme von Hamburg in der Ferne erblicken - war auf einer Schautafel zu lesen. An diesem Tag sahen wir nur eine Reihe Windräder am Horizont. Oben wehte ein kühler Wind und der trieb uns weiter. Wie es der Zufall wollte, trafen wir auf emsige Landschaftspfleger: Eine Herde Heidschnucken. Diese lustige Truppe aus silbergrauen zotteligen Schafen, ihren tapsigen Lämmern und dazwischen ein paar Ziegen begleiteten wir eine Zeitlang. Dabei kamen wir ins Gespräch mit dem Schäfer Jürgen Funk, der seit seinem 16. Lebensjahr die Schnucken 365 Tage im Jahr durch die Heide treibt und dafür auf einiges an Freizeit und Urlaub in seinem Leben verzichtet, um dieser ebenso ehrenwerten wie anspruchsvollen und anstrengenden Aufgabe nachzugehen. Während Jürgen Funk weiter durch die Landschaft zog, sehnten wir uns nach einem gemütlichen warmen Café. Genau das erwartete uns im Heidedorf Wilsede. Mit Genuss erkannten wir, dass Buchweizenpfannkuchen und heiße Schokolade am besten nach einer langen Wanderung in der Natur schmecken. Anschließend bezogen wir unsere Ferienhäuser in Schneverdingen. Ein Teil der Gruppe zauberte ein leckeres Abendbrot für alle. Bei einer Abendwanderung wurden wir dann noch mit der Arbeit des Vereins Naturschutzpark (VNP) vertraut gemacht, welcher sich seit mehr als 100 Jahren für den Erhalt und die Entwicklung der Heidelandschaft einsetzt.
TAG 3 // Quer durch Feld und Weide
Nachdem es am Vortag eher darum ging, die Landschaft auf uns wirken zu lassen, wurden wir am zweiten Tag von Landwirt Dr. Andreas Koopmann durch die Landschaft geführt. Unsere Tour begann auf dem Landschaftspflegehof Tütsberg, einem nach Bioland-Richtlinien wirtschaftenden Landwirtschaftsbetrieb. Noch einmal wurde uns die Entstehungsgeschichte der Heide nähergebracht: Die Lüneburger Heide entstand bereits in der Jungsteinzeit. Damals kam es durch die Rodung der Wälder und durch intensiven Ackerbau zu einer Nährstoffverarmung der Landschaft. Nur anspruchslose Pflanzen, wie die Besenheide, konnte unter diesen Bedingungen bestehen. Im Mittelalter etablierte sich die Schafzucht und somit eine neue Wirtschaftsweise, denn Schafe sind ein wichtiger Düngerproduzenten. Im Stall wurde der Dung durch die zahlreichen Heidschnuckenbeine mit abgeplaggtem Heidekraut samt Humusschicht, welche der Bauer dem Boden entriss, vermischt. Die Lüneburger Heide ist also eine Kulturlandschaft, die eines kontinuierlichen und durchaus kostenintensiven Managements bedarf. Auf den Flächen des Tütsberger Hofes wird die historische Heidebauernwirtschaft nachgeahmt, unter anderem durch die Beweidung mit Heidschnucken. Der Spaziergang durch die landwirtschaftlichen Flächen und entlang eines alten Bauerngehöftes war wie eine Zeitreise. Sogar das Abplaggen wurde uns vorgeführt. Es wurde sichtbar, wie aufwändig es ist, unter diesen speziellen Bedingungen Landwirtschaft zu betreiben. Der Abend brachte für einige von uns dann noch ein Highlight: Sie konnten dem Schäfer bei der Schafschur helfen.
TAG 4 // „Wir haben hier alles, digga“
Mitunter lohnt es sich wirklich, zu Sonnenaufgang auzustehen. Wir nutzten die Zeit für eine kleine Tour durch das schöne Pietzmoor. Auf einem Holzbohlenweg liefen wir durch die morgendliche Idylle, welche von einer unglaublichen Geräuschkulisse unterlegt war.
Nach einer Einführung in das Projekt ÖkoKult, in dem der Frage nachgegangen wird, welches kulturelles Potential die Lüneburger Landschaft hat und was Kultur in Verbindung mit Landschaft überhaupt bedeuten kann, kamen wir später am Tag mit vielen Menschen ins Gespräch. Für die meisten war es die erste Erprobung in sozialwissenschaftlichen Arbeitsmethoden. Die Befragungen waren zum Teil sehr lustig, wenn man zum Beispiel auf die Frage „Was gefällt Ihnen gar nicht an der Region?“ die Antwort „Wir haben hier alles, digga“ bekommt. Es hat Spaß gemacht, auf diese Weise mit Menschen ins Gespräch zu kommen, auch wenn wir die einen oder anderen abweisenden Worte erhalten haben. Und wieder ließen wir den Abend mit einem leckeren gemeinsam gekochten Abendessen ausklingen. Das Beisammensein wurde von Tag zu Tag schöner und dass der morgige Tag schon der letzte in der Heide sein sollte, kam überraschend.
TAG 5 // Expertenrunde und Abschiedsstunde
Nach vier Tagen in der Heide wurden wir zu Experten ernannt und nahmen an einer (simulierten) Konferenz zur weiteren Landschaftsentwicklung der Lüneburger Heide zum durchaus provokanten Thema „Ist das noch Kultur oder kann das schon weg?“ teil. Es erfordert hohe finanzielle Mittel und viel Aufwand, die Flächen so zu erhalten wie sie jetzt sind. Jedoch stellt die Landschaft auch einen hohen kulturellen Wert dar, ist Heimat für die Bewohner und wirtschaftliche Einnahmequelle durch den Tourismus. Also was will und braucht Mensch heutzutage? Eine hochgradig gemanagte Kulturlandschaft oder ein Wildnisentwicklungsgebiet? Bei einer ausgiebigen Diskussion entstanden kreative Ideen und ganz neue Sichtweisen auf die Problematik.
Die Reise war eine gute Möglichkeit, in einem vertrauten Umfeld zu diskutieren und vieles zu hinterfragen. Außerdem hat es Spaß gemacht, mit so vielen verschiedenen Interessensgruppen ins Gespräch zu kommen.
Die Exkursion fand im Rahmen des Wahlpflichtmoduls Geoökologie und des Projekts ÖkoKult statt und wurde von Frau Prof. Dr. Uta Steinhardt und der Projektmitarbeiterin Jana Twarok begleitet und organisiert. Das Projekt ÖkoKult befasst sich damit, wie Landschaften auf immaterielle Weise zur Lebensqualität beitragen.
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