Ein Kommentar von Leonard Ihssen
Foto Tobias Kamphoff
In Berlin haben sich am 18. Januar wieder 10-tausende Menschen zur alljährlich stattfindenden Großdemonstration „Wir haben es satt!“ versammelt. Während am Freitag die Initiative „Land schafft Verbindung“ (LsV) gegen strengere Umweltschutzmaßnahmen protestierte, forderten die Demonstrant*innen am Samstag mehr davon: klarere Klimaschutzmaßnahmen und ein Ende des Artensterbens. Als ackerdemiker.in-blogger habe auch ich mitdemonstriert und mich gefragt: Zehn Jahre „Wir haben es satt“- was hat sich verändert? Gibt es Erfolge zu feiern, Rückschläge zu beklagen? Was lässt sich an diesem Samstag dazu erfahren?
Mitten ins Getümmel
Mit Kochtöpfen und Schleppern geht es diesen Samstag also auf die Straße. Nach Angaben der Veranstaltenden sind es in diesem Jahr 27.000 Menschen, die für Artenvielfalt und stärkere Klimaschutzmaßnahmen protestieren. Die Symbolik der Demonstration macht klar: hier artikulieren sich sowohl Bäuerinnen und Bauern als auch Verbraucher*innen. So ist es ein bunter Demonstrationszug, der sich nach der Auftaktrede langsam am Brandenburger Tor vorbeischlängelt. Ich habe das Gefühl, dass die Forderungen quer durch die Generationen Zuspruch finden. Was mich allerdings erstaunt, ist, dass ich keinen größeren Block der neuen Umweltbewegungen finde. Ab und zu sehe ich einen „Fridays for Future“-Wimpel, oder einen „Extinction Rebellion“- Aufnäher, aber im Großen und Ganzen scheint kein großer Spill-Over Effekt stattgefunden zu haben. Nach zwei Hitzesommern, die uns drastisch vor Augen geführt haben, wie untrennbar Landwirtschaft und Klimapolitik miteinander verwoben sind und des ungeheuren Mobilisierungserfolgs von FfF und XR, hätte ich hier mit neuem Zulauf gerechnet. Als ich einen Outreacher von Extinction Rebellion dazu befrage, antwortet er ausweichend, dass die dezentrale Organisation der Bewegung zum verpassten Schulterschluss geführt hätte und er und viele seiner Mitstreiter*innen große Sympathie für die Demonstration empfinden.
Der Blick der Kampainer
Neben dem Verhalten der verschiedenen Umweltbewegungen zueinander interessiert mich der sich verschärfende Konflikt innerhalb der Bauernschaft. Auffällig ist jedoch, dass an diesem Tag wenig auf Konfrontationskurs gegangen wird. Exemplarisch dafür steht für mich die Auftaktrede von Christoph Bautz, dem Geschäftsführer von Campact, der aktiv versucht, die Konfliktlinie zwischen konventionellen und ökologischen Höfen zu verschieben, indem er deren gemeinsame Herausforderungen herausstellt. Sein Apell richtet sich an die Politik und den Handel, in seiner Rede sagt er: „Die Demos gestern und heute ziehen am selben Strang: Denn den Bauern steht das Wasser bis zum Hals. Jetzt braucht es die richtigen Konsequenzen: Weniger Weltmarkt und mehr regionale Vermarktung. Faire Preise statt Dumping der Discounter. Und Agrarsubventionen für Landwirte, die Artenvielfalt erhalten und ihre Tiere anständig halten."
Stimmen der Schlepper Ich höre mich ein bisschen bei den Schlepperfahrern um und will wissen, wie sie zu den Protestaktionen von LsV- Das Original und LsV- Deutschland stehen. Die Meinungen gehen natürlich ein bisschen auseinander: Während einer belächelt, dass die Bauern vom Vortag allein, ohne breite Unterstützung von Verbraucher*innen demonstrierten, stellt ein anderer eher die Überschneidungspunkte der beiden Bewegungen hervor. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass die Menschen hier, eine Spaltung der Bauernschaft unbedingt vermeiden wollen. So wird zum Beispiel immer wieder die Relevanz kleinbäuerlicher Strukturen hervorgestellt. Dass diese, unabhängig davon ob ökologischer oder konventioneller Landbau betrieben wird, ein enormes Potenzial für die Artenvielfalt hat, zeigen Vergleiche von groß- und kleinstrukturierten Agrarsystemen. Vergleicht man zum Beispiel die großstrukturierte Landwirtschaft Ostdeutschlands mit der eher kleinstrukturierten Landwirtschaft in Süddeutschland, wird deutlich, dass zur Förderung der Biodiversität die Leistungen einer kleinstrukturieren Agrarlandschaft gleichwertig bis höher zu bewerten sind als die Umstellung auf Ökolandbau. Jedenfalls ging das aus dem Agrar-Report 2017 vom Bundesamt für Naturschutz hervor. Insgesamt zählt wohl auch hier die Faustregel: vielfältige Flora, schafft vielfältige Fauna.
Optimistisch
Als ich einige der „alten Hasen“ der Demonstration zu den Entwicklungen innerhalb der Demonstrationsgeschichte von „Wir haben es satt“ befrage, begegne ich vor allem einem mutigen Optimismus. Richard Herten, ehemaliges Bandmitglied von Ton Steine Scherben ist schon seit mehreren Jahren dabei und findet zum Beispiel, dass der Zuspruch für die Bewegung innerhalb der Gesellschaft zugenommen hat. Das macht er auch an den wachsenden Klimabewegungen fest. Was ihn besorgt, ist jedoch die sich verstärkende Schräglage zwischen Stadt und Land. Er hat das Gefühl, dass die Stadt vom Konsumverhalten ökologischer Lebensmittel weiter ist als die Produktion auf dem Land. Aber auch hier hofft er, jedenfalls in Bezug auf Brandenburg, auf baldige Besserung. Ihn ermutigt der grüne Agrarminister Axel Vogel. Frank Neumann treibt vor allem die Sorge um eine Spaltung der Bauernschaft um. Für ihn ist klar: Bäuerinnen und Bauern dienen alle der Gesellschaft. Konventionelle genauso wie ökologisch wirtschaftende. Seine Forderung an die Politik: die Einrichtung runder Tische als Vermittlungsformat zwischen den unterschiedlichen Bauernschaften und der Gesellschaft.
Vielfalt in Bewegung
Nach der Demo geht es traditionell zur Heinrich Böll Stiftung zum Soup n´talk. Hier stellen sich unterschiedliche Akteure der Bewegung vor. Viele von ihnen mit spannenden Projekten im Gepäck, die zeigen sollen, wie eine Agrarwende konkret aussehen könnte, wenn es sein muss, auch „von unten“ organisiert. Auf einen Vortrag bin ich besonders gespannt: Tilo Donner von „Land schafft Verbindung“ lädt zur Debatte ein. Bei dem Vortrag warte ich geradezu auf den Showdown. Gleich werden die Fetzen fliegen, denke ich, höre ihm zu und bin überrascht. Auch hier kein Konfrontationskurs und keine bösen Worte. Eher werden Worte der Versöhnlichkeit gesucht und Gemeinsamkeiten aufgezeigt. Das überrascht und beruhigt mich gleichzeitig. Für mich zeigt das beispielhaft, dass über die verhärteten Fronten hinweg miteinander gesprochen werden kann und der Protest der konventionellen Bauern möglicherweise, den Protest der Ökobauern ergänzen, statt ausbremsen könnte. Jedenfalls ist eins klar: die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind die gleichen. Klimaerhitzung, Artensterben und Höfesterben, das betrifft uns alle. Was uns unterscheidet, sind die Lösungsansätze, aber das ist doch eine gute Grundlage für einen Austausch!
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