photo credits go to Annemarie Willitzki
Am 12. September 2019 fand die Fachtagung des E+E Vorhabens „Naturerfahrungsräume in Großstädten am Beispiel Berlin“ am Stadtcampus statt. Über 80 Teilnehmer*innen nutzten die Tagung für den fachlichen Austausch über die Forschungsergebnisse des Forschungsprojekts. Naturerfahrungsräume (NER) sind große, naturnahe Flächen, in denen Kinder frei und unbeaufsichtigt in natürlicher Umgebung spielen können.
Bewegung macht schlau!
Zu Beginn hält Prof. Dr. Renate Zimmer, Professorin für Sport- und Bewegungswissenschaften an der Universität Osnabrück, einen Vortrag darüber, wie wesentlich Bewegung (in der Natur) für eine gesunde, kindliche Entwicklung ist. Sie setzt diese Bewegung in den größeren Kontext von Bildung und erklärt, warum Bewegung bildet: Nach Zimmer ist die Bewegung der Ausgangspunkt für die Aneignung der Welt.
Ein Blick über den (nationalen) Tellerrand
Sigrun Lobst, Landschaftsarchitektin aus den Niederlanden, spricht anschließend über dortigen Naturerfahrungsmöglichkeiten für Kinder. Anhand verschiedener Beispiele zeigt sie Möglichkeiten auf, Naturerfahrung für Kinder zu erschaffen, auch wenn der Raum knapp ist. Um in der Konkurrenz um Fläche das Anliegen für freies Spiel in der Natur erfolgreich zu platzieren empfiehlt die Landschaftsarchitektin Kooperationen mit Akteuren verschiedener Themenbereiche zu entwickeln und gemeinsam Lösungen zu finden, z.B. Hochwasserschutz, Gesundheitsinitiativen gegen Übergewicht bei Kindern, Wegzug von Familien aus den Innenstädten und anderen Themen, die Schnittstellen aufweisen. Hier gibt es ein hohes Synergiepotenzial, Naturerfahrung für Kinder in Städten zu realisieren.
Berlin, du bist so wunderbar…
Denn hier steht im Koalitionsvertrag, dass in jedem Bezirk ein Naturerfahrungsraum eingerichtet werden soll. Doch das kommt nicht von ungefähr: Schon seit vielen Jahren beschäftigen sich Menschen mit der Frage, wie Kindern in der Stadt das freie Spiel in der Natur ermöglicht werden kann, erläutert Prof. Dr. Heike Molitor. Bereits 2009 wurde eine Machbarkeitsstudie durchgeführt und seit 2015 begleitet die HNE unter ihrer Leitung die Einrichtung und Unterhaltung von drei Naturerfahrungsräumen in Berlin. Der mehrperspektivische, interdisziplinäre Forschungsansatz widmet sich in drei Arbeitsbereichen der Lebensqualität, Planungsqualität und ökologischen Qualität von NER in Berlin. Als Ergebnis der Forschungsarbeiten wird ein Leitfaden für die Planung, Einrichtung und Verstetigung von Naturerfahrungsräumen erstellt, der deutschlandweit unterstützend für alle Akteure in diesem Bereich wirken wird. Die Veröffentlichung ist für das Frühjahr 2020 geplant. In den folgenden drei Vorträgen werden die Forschungsergebnisse des Projekts thematisiert.
Planung muss sein…
… und auch rechtliche Sicherheit für die Naturerfahrungsräume! Darüber berichtet Maren Pretzsch, Projektmitarbeiterin. Es ist wichtig, dass die Flächen, die als NER gestaltet werden, als solche rechtlich festgelegt sind. Zukünftig soll es sogar eine Gesetzesänderung des Baugesetzbuches geben, so dass die neue Flächenkategorie im Rahmen der Bebauungspläne der Kommunen direkt ausgewiesen wird. Bis dahin dienen Behelfsmodelle, wie z.B. der Zusatz der Zweckbestimmung in Nutzungskategorien. Wesentlich ist auch, dass die Verkehrssicherheit gewährleistet wird. Grundsätzlich soll sich ein NER an den Strukturen des Geländes orientieren und das Potenzial der Fläche nutzen. Er soll abwechslungsreich gestaltet sein und intensiv genutzte Bereiche und weniger intensiv genutzte Bereiche sollen von Beginn an mitgeplant werden.
Kinder dürfen mitbestimmen …
Denn dadurch wird es erst ein richtig guter NER. Die Kinder wissen, was sie brauchen, sich wünschen und was wichtig ist. Projektmitarbeiterin Dr. Jutta Heimann zeigt auf, dass Kinder die Expert*innen für ihre Spiel- und Bewegungsbedürfnisse sind und wie sie deshalb in der Planung in besonders auf sie zugeschnittenen Verfahren partizipativ eingebunden wurden. Kollegin Dr. Dörte Martens erläutert im darauffolgenden Vortrag, dass Kinder, die in partizipativen Verfahren eingebunden wurden dann auch signifikant häufiger in den NER spielen, als Kinder, die nicht beteiligt wurden.
… und frei spielen!
Besonders an den NER ist, dass deutlich mehr anspruchsvolle und komplexe Spiele als auf Spielplätzen gespielt werden. Fantasie-, Rollen- und Bauspiele überwiegen: Die Kinder gestalten ihre eigenen Lieblingsorte und erleben Abenteuer in ihren Naturerfahrungsräumen. Dabei werden sie natürlich nicht allein gelassen: Die Kümmerer*innen betreuen die Flächen und sind als pädagogisch ausgebildete Ansprechpartner*innen vor Ort. Die Forschung zeigt hier auch auf, wie wichtig die Informations- und Netzwerkarbeit der Kümmerer*innen ist - immerhin nimmt sie ein ganzes Viertel ihrer Arbeitszeit ein.
Und was passiert mit der Natur?
Nichts Schlechtes! Pflegearbeiten sind vor allem dort notwendig, wo Flächen wenig bespielt werden. Die Anzahl der Arten in der Vegetation stieg in den Jahren der Untersuchungen an, wobei der extreme Trockensommer 2018 zu Einbußen führte. Und auch Vögel und Insekten fühlen sich auf der Fläche wohl und profitieren von den Flächen. Das Auftauchen von Laubfröschen in einem NER führte sogar zu einem höheren Interesse der Kinder an der Fläche: Wow, da gibt es Frösche!
Workshop-Zeit!
Nachmittags geht es in drei Workshops weiter: Die Teilnehmer*innen beschäftigen sich engagiert mit den verschiedenen und komplexen Aspekten der NER in den drei Themenbereichen Planung und Einrichtung, Akzeptanz sowie Flächenbetrieb und Verstetigung: Wie kann die Planung und Partizipation gut gestaltet werden kann? Wie können Befürchtungen von Eltern und Erzieher*innen abgebaut werden? Auf welche Weise kann die Pflege an den Nutzungsdruck, die ökologischen Ansprüche und die Besonderheiten von NER angepasst werden? Welche Maßnahmen erfordert ein effizientes Sicherheitsmanagement? Wie kann die Finanzierung sichergestellt werden? Was kann eine deutschlandweite Vernetzungsstelle von Naturerfahrungsräumen bewirken?
Naturerfahrungsräume haben Zukunft!
Auch wenn dieses Forschungsprojekt im Frühjahr nun abgeschlossen wird, sind die Naturerfahrungsräume ein Erfolgsmodell und der im Projekt entwickelte Leitfaden wird Handlungsempfehlungen zur Einrichtung und Unterhaltung bereithalten. Im Anschluss an die Ergebnispräsentation der Workshops hebt der Fachbetreuer des Projektes beim Bundesamt für Naturschutz , Jens Schiller, noch einmal die Bedeutung der NER für den Naturschutz hervor. Ab dem kommenden Jahr soll es eine auch Fachstelle beim Bundesverband der Jugendfarmen und Aktivspielplätze e.V. geben, die für die Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit, für Fortbildungen sowie Beratung von potenziellen Träger*innen zuständig sind.
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