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Gehört die Kirche ins Dorf? // Glockenläuten im Land am Rand

Bevor sich mit den ersten Herbsttagen LaNus von nah und fern wieder auf dem Stadtcampus zusammenfinden, gibt es die Möglichkeit, den Sommer zu verlängern und was zu lernen. Ganz ohne Hörsaal und PowerPoint. Wie das?


Die Sommerschule macht’s möglich. Prof. Dr. Uta Steinhardt bot Ende September ein geblocktes Wahlpflichtmodul an, das die Teilnehmer*innen einmal mehr ins facettenreiche Oderbruch führte. Kooperationspartner waren das Büro für Landschaftskommunikation und das Oderbruch Museum Altranft. Zehn LaNus und eine Ökobäuerin bezogen dazu für fünf Tage Quartier auf dem Seminarhof „An der Mühle“ in Wilhelmsaue. Andree Jochmann stellt hier auf seinem Hof Übernachtungsmöglichkeiten in restaurierten Fachwerkhäusern, Wohnwagen und ja, Booten zur Verfügung. In der Nähe gibt es verstreute Gehöfte, eine Kirche, eine Kneipe und viel Gegend.

Wo wahlweise Hahn oder Esel (oder beide) den Sonnenaufgang ankündigen konnte sich die Gruppe intensiv mit dem Thema Kirchen im Oderbruch beschäftigen. Diese Bauten haben eine besonders landschaftsprägende Wirkung. Ihre Türme waren früher wichtige Landmarken, wo heute Windräder grüßen.


photo credits go to Uta Steinhardt, Steffi Logge & Nico Brunkow

Frau Steinhardt sowie Almut Undisz, Heike Schönherr, Lars Fischer und Tobias Hartmann, die unter anderem für das Museum Altranft tätig sind, betreuten jeweils eine kleine Gruppe Studierende. Gemeinsam besuchten sie fünf Kirchen in der Umgebung. Die waren so verschieden wie die Geschichten, die sie erzählen. Wurden sie in sogenannten Neu- oder Kolonistendörfern erbaut, die erst nach der Trockenlegung der Auenlandschaft im 18. Jahrhundert entstanden? Oder in Altdörfern, die schon vorher auf höheren Lagen etabliert waren?

Wie haben sie Kriege und Katastrophen überstanden? Welche Kuriositäten verbergen sie unter ihren Dächern? Woran erinnern sich die Menschen, wenn sie nach „ihrer“ Kirche gefragt werden?


Die Marienkirche in Wriezen wurde 1945 komplett zerstört. Einige Jahre später begann der schrittweise Wiederaufbau, der bis heute andauert. Um ihn stemmen zu können, wurde in der Stadt 1991 ein Förderverein gegründet. Der Turm und ein Teil des Kirchenschiffes stehen bereits wieder.


„Die Kirche ist nicht weg, man sieht sie nur nicht mehr“ – das trifft in Alt-Wriezen zu. Wer das Gotteshaus sucht, findet ein paar Steinstufen, die nicht mehr hineinführen. Der Bau überstand zwar den Zweiten Weltkrieg. In den Folgejahren fehlte aber das Geld für nötige Sanierungsarbeiten. Die Kirche verfiel, bis sie 1973 abgerissen wurde. „Da fehlt was“ sagen die einen in der Gemeinde, denen die Lücke im Ort schmerzt. „Müssen wir sie wirklich neu aufbauen, eine Kirche, wo die doch sowieso immer weniger Zulauf haben?“ Das fragen die anderen, die von dieser Idee des Fördervereins wenig begeistert sind. Der 2015 gegründete Verein möchte zunächst den Turm wieder aufbauen, da der das Bild einer Kirche besonders prägt. Und, um das Einzige, was erhalten blieb, wieder an seinen angestammten Platz zu hängen: Die drei Glocken.


An ihrer Kirche bauten, werkelten und reparierten die Sietzinger wiederum seit deren Grundsteinlegung. Als die Glocken einmal läuteten, sollen sogar Steine vom Turm heruntergefallen sein. Trotzdem überstand der kleine Fachwerkbau die Zeit und ist heute innen liebevoll gestaltet; ein Harmonium ersetzt die Orgel, sogar frische Blumensträuße schmücken den Altar.


In Altwustrow hätte es gar keine Kirche geben dürfen, wäre es nach König Friedrich II. gegangen. Der entschied schließlich, in welchen Orten Gotteshäuser gebaut wurden und wo nicht. Doch die Altwustrower wollten ihre eigene Kirche, auf die sie stolz sein konnten. Sie tarnten den Schwarzbau zunächst als oderbruchtypische Fachwerkscheune. Später wurde der Turm angesetzt. Heute sind in der Kirche ein frisch restaurierter Taufengel, zahlreiche Goldverzierungen und eine prächtig bemalte einmalige Papier-Decke (mit Taube) zu bewundern. Wer Glück hat, hört, wie die Orgel gespielt wird.


Die Kirche Neutornow hingegen wurde vom Alten Fritz persönlich bei einem Architekten in Auftrag gegeben. Sie erhebt sich auf dem Südhang der Neuenhagener Insel und kann für die platte Auenlandschaft schon fast als Bergkirche mit herrlicher Aussicht gelten. Auf dem zugehörigen Friedhof liegt Theodor Fontanes Vater begraben - sein Name ist mit einem Rechtschreibfehler auf dem Grabstein verewigt. In der Kirche findet sich eine weitere Kuriosität. Die Orgel ist verkleidet, mit einem Holzgitterrahmen, der mit Sackleinen aus den Sandsäcken des letzten großen Oderhochwassers 1997 bespannt ist.

Die Uhr im Turm zeigt, mit welchem Engagement Gemeindemitglieder ihre Kirche am Leben erhalten. Das Uhrwerk muss per Hand aufgezogen werden. Jeden Tag. Den Berg zur Kirche hinauf, über den Friedhof, in die Kirche, die Stiegen zum Turm rauf, Gewichte nach oben ziehen. Wieder runter.


All das erzählten Menschen, die teilweise ihr ganzes Leben lang kleine und große Momente mit den Kirchen verbanden; Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Beisetzung. Pfarrerinnen, Nachbarn, Kirchgängerinnen, 80-Jährige, die noch munter durch das Gebälk der Glockentürme turnen und sich an Granaten erinnern, die 1945 durch die Dächer ihrer Kirchen schlugen.

In Gesprächen mit uns ließen sie uns an ihren Erinnerungen teilhaben.

Nachdem alle Gruppen genügend Material gesammelt hatten, ging es ans Schmieden von Ideen, Zurechtfeilen von Texten und Polieren von Zeichnungen. Im Seminarraum unserer Herberge wurde so eifrig gebastelt und gewerkelt, als würden wir selbst einen Fachwerkbau auf die Füße stellen wollen. Dabei unterstützte uns Nadja Hirsch, die im Museum Altranft für die Ausstellungsproduktion verantwortlich ist.

Die Deckenmalerei der Altwustrower Kirche wurde bis ins Detail abgemalt. In der Küche fielen Sägespäne. Steine wurden aufgeschichtet. Zum Glück stellte Andree Jochmann immer die Versorgung mit köstlichem frisch gebackenem Kuchen sicher!

Bis in die Nacht hinein wurde getextet und zurechtgeschnitten, bis uns Lagerfeuer und Gitarrenmusik doch hinaus lockten. Schließlich sollte am Ende der Woche ein Ergebnis stehen, das wir auch präsentieren konnten!


Am Freitagmorgen hieß es Abschied nehmen von unserem Quartier in der einzigartigen Landschaft, deren Schönheit von der Abwesenheit von Hässlichem herrührt. Aber nicht, bevor wir uns einen Spaß auf dem platten Land erlaubt hatten: Eine 30 Tonnen schwere Bockwindmühle (die letzte ihrer Art im Bruch!) per Hand einmal um ihre eigene Achse zu drehen. Danach gab uns der Müller noch eine kurze Führung durch den hölzernen Bau, der je nach Windrichtung ausgerichtet werden kann. Immer noch kann hier geschrotet und Mehl gemahlen werden, was sich Besuchergruppen gerne zeigen lassen.


Besonders glücklich waren alle Gruppen an diesem Tag darüber, tatsächlich ein Produkt ihrer Arbeit in den Händen zu halten. 5 Wandschränkchen, die nun die Sammlung der „Schaukästen Oderbruch“ im Museum Altranft bereichern. In jedem verbirgt sich mindestens ein Gegenstand mit Bezug zu den jeweiligen Kirchen.


Die Kästen werden mit in die Bewerbung des Oderbruchs auf das Europäische Kulturerbe-Siegel einfließen. Die erfolgt 2019. Doch egal, ob sie erfolgreich wird oder nicht: Das Bruch hat sich bereits selbst ausgewiesen. Viele Bauwerke tragen inzwischen eine Emailleplakette mit der Aufschrift „Kulturerbeort“.


Die Wandschränkchen wurden auch der Öffentlichkeit vorgestellt, in dem Ausstellungsraum, in dem sie bald hängen werden. Eingeladen waren die befragten Akteure, die MOZ war vor Ort und berichtete hier darüber.


Die Schränkchen stellen kurz die ausgewählten Kirchen vor und sollen die Besucher neugierig auf einen Besuch dieser besonderen Bauwerke machen.

Kirchen in der Region sind eben noch weit mehr als Orte, an denen Christen zu Gottesdiensten zusammenfinden. Sie halten Geschichte und Geschichten lebendig. Sie sind älter als alle Gemeindemitglieder, aber die entscheiden jeden Tag aufs Neue, wie die Zukunft der Bauten aussieht. Für manche ist die nämlich ungewiss. Erhaltungsmaßnahmen kosten Zeit und Geld, die die Gemeindemitglieder seit jeher oft selbst aufbringen.

Was passiert mit jahrhundertealten Gotteshäusern, wenn Traditionen aussterben, „die Alten“ nicht mehr leben? Wenn die jungen Menschen wegziehen oder kein Interesse mehr daran haben, in die Kirche zu gehen? An einigen Kirchen bröckelt der Putz. Doch wer sollte neuen bezahlen? Auch um die Gottesdienste steht es zur Zeit tatsächlich schlecht: Es nehmen kaum mehr 20 Menschen teil – aus sieben oder acht Orten zusammen.


Viele Gemeinden bemühen sich um Kulturangebote, mit denen sie wieder mehr Anwohner in den Kirchen zusammenbringen wollen. Orgelkonzerte, Adventsmärkte, gemeinsames Essen und Sitzen am Lagerfeuer gefallen Groß und Klein. Die Bauwerke bieten jederzeit Räume der Ruhe und Erinnerung an Menschen und Zeiten, die vergangen sind. Nicht zu vergessen sind sie Baudenkmale und architektonische Unikate. Ob man sich als religiös bezeichnet oder nicht – jedem, der hinhört, erzählen sie von Generationen der stolzen, fleißigen, findigen Oderbruchbewohner.

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