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“Semillas de Amistad” Tiny Farms in Kuba (Teil 1)

Aktualisiert: 31. März 2023

Ein Gastbeitrag von Nikolai Scharsich


Im Januar 2022 erreichte die Studierenden der HNEE ein Aufruf von Prof. Dr. Heike Walk. In ihrer Mail bezieht sie sich auf den Austausch mit ehemaligen Kolleg*innen von der Universität von Sancti Spiritus (UNISS) in Kuba und der sich in Folge von Covid und dem Krieg in der Ukraine zuspitzende Ernährungssituation in dem Land. Heike Walks Idee war es daraufhin, zunächst eine Gruppe in Eberswalde zu formieren, welche im Rahmen einer studentischen Initiative, den akademischen Austausch und Wissenstransfer im Bereich des nachhaltigen Land- und Gartenbaus fördern solle. Ihre Vision war es, Ideen in Anlehnung an die Tiny Farms Bewegung zu skizzieren und in einem partizipativen Prozess in Kuba gemeinsam mit einer Gruppe kubanischer Studierender weiterzuentwickeln und in die Tat umzusetzen.

So folgten dem Aufruf zunächst ca. 40 Interessierte, welche sich im Laufe der Zeit auf eine Gruppe aus ca. 14 Studierenden verschiedener Fachbereiche und einem Gärtner aus der KARUNA e.G (Sozialgenossenschaft und Inklusionsgemeinschaft) aus Berlin reduzierten.

Diese Gruppe entwickelte fortan in mehreren Workshops und vielen Onlinemeetings Ideen und Konzepte für einen Arbeitseinsatz in Kuba. Ende November kam dann die Zusage für verschiedene Förderungen, die gleichzeitig der Startschuss für die heiße Phase der Planungen war. In kürzester Zeit wurden eine Spendenkampagne auf Betterplace lanciert, Materiallisten erstellt, Reiseplanungen gestartet und der direkte Austausch mit den kubanischen Partner*innen intensiviert. In mehreren Online-Treffen wurde zum einen geklärt, welche Materialien verfügbar sind und welche noch dringend aus Deutschland benötigt würden. Zum anderen wurde auch das Programm für die zwei Wochen vor Ort geplant und abgestimmt.

Onlinemeeting zur Vorbereitung mit der kubanischer Projektleitung (Foto: Nikolai Scharsich)

Es folgten turbulente Tage und Wochen, aber die vielfältigen Erfahrungen und das Engagement der Gruppe führte zu einer enormen Effektivität, sodass Anfang Januar 2023 tatsächlich eine Reisegruppe aus sieben Studierenden der HNEE, dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Florent Jouy und dem Neuköllner Stadtgärtner Thomas Jahn, genannt Tom, die Reise in die Karibik antrat.

Mit gut 300 kg Materialspenden, unter anderem Schaufeln, Harken, Scheren, Saatgut und Laptops ging es also auf die Reise.

Material und Gepäck (Fotos: Nikolai Scharsich)


Zuerst sammelten wir uns alle in Havanna und lernten uns dort, teilweise das erste Mal, persönlich kennen. Bei einem ersten Mojito merkten wir schnell, dass die Chemie zu passen schien. Am Folgetag fuhren wir mit den landestypischen Oldtimern durch die Stadt zum Busbahnhof und reisten gemeinsam mit dem Bus nach Sancti Spiritus weiter.

Tom mit Gepäck, Oldtimer, Reise (Fotos: Nikolai Scharsich)


Vor Ort nahm uns die kubanische Partner-Gruppe noch spät am Sonntagabend in Empfang und begleitete uns in die Residencia der Studierenden. Das ist eine auf dem Gelände des Campus liegende, sehr einfach gehaltene Unterkunft, in der wir, wie alle kubanischen Studierenden, kostenlos wohnen und speisen konnten. Die Kosten werden in dem sozialistischen Land durch den Staat getragen.

Campus, Residencia, Zimmer (Fotos: Nikolai Scharsich)


Am nächsten Morgen wurden wir auf dem Stadtcampus, ein paar Gehminuten entfernt, offiziell durch verschiedene Vertreter*innen der Universität begrüßt. Wir lernten unsere kubanische Partner-Gruppe nun etwas besser kennen, welche aus acht jungen Dozierenden (Professoras) der Agrarwissenschaften und der Technischen Fakultät, sowie der Projektleiterin Dr. Kolima Peña Calzada, ihrerseits auch Agrarwissenschaftlerin, bestand.

Zudem erfuhren wir einiges über die Situation vor Ort in Sancti Spiritus sowie über das Land im Allgemeinen. So kommen durch die Wirtschaftssanktionen (Bloqueo) der USA, aber auch in Folge der Pandemie und aktuell durch den Krieg in der Ukraine, immer weniger Lebensmittel, Medikamente und andere Bedarfsgegenstände des täglichen Lebens ins Land. Dadurch spitze sich die Lage der Menschen in den letzten Monaten merklich zu, so Ph.D Martín Santana Sotolongo, Abteilungsleiter für Internationale Zusammenarbeit der UNISS.

Es wurden die mitgebrachten Materialspenden offiziell übergeben und Prof. Sotolongo dankte uns im Namen der UNISS. Insbesondere das Saatgut wurde als Schatz, aus dem, so Sotolongo, ein „kubanisch-deutsches Wunder“ wachsen könne gewürdigt. Außerdem wurden die Erwartungen der kubanischen Seite an dieses Projekt und das Programm für die kommenden Tage vorgestellt. Es sollten zwei Wochen des gegenseitig voneinander Lernens, verschiedener Exkursionen und vor allem des aktiven und gemeinschaftlichen Arbeitens im Universitäts-Garten werden. Denn in dem Garten wollten wir versuchen eine Art Gemeinschaftsgarten aufzubauen, der zukünftig als Testfläche für Studierende genutzt werden sollte. Hier sollten Ideen zusammenfließen und zu etwas Neuem, Gemeinsamen zusammenwachsen.

Die Vorstellung wurde zumeist auf spanisch gehalten und durch eine Dolmetscherin ins Englische übersetzt.

Spendenübergabe und Gruppenbild (Fotos: Nikolai Scharsich)


Nach diesem offiziellen Teil bekamen wir von unseren Projektpartner*innen eine Stadtführung und gingen gemeinsam mit den Dozent*innen der Agrarwissenschaften essen. Den Nachmittag hatten wir zur freien Verfügung und kamen nicht umher, abends bei fantastischen Cocktails etwas das Tanzbein zu schwingen. Allerdings waren die Eberswalder Bewegungsabläufe bei „bassigem“ Reggaeton noch etwas zaghaft, verglichen mit denen der kubanischen Gruppe. Das sollte sich im Laufe der kommenden zwei Wochen allerdings noch etwas verbessern…

Gemeinsames Essen, Stadt (Fotos: Nikolai Scharsich, Cira Hardt)


Am nächsten Morgen gab es zum Frühstück ein Brötchen mit dem landestypischen Käse und einen Becher Guaven-Saft. Dann ging es zum Campus rüber. Heute wollten wir in einem ersten gemeinsamen Workshop konkrete gemeinsame Ideen für das Projekt entwickeln. Hierzu wurden zwei Gruppen mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten gebildet. Im Team Kommunikation und Digitales wurden viele Themen angesprochen wie z.B. Öffentlichkeitsarbeit, Zielgruppensuche oder Social-Media Strategien. Die kubanischen Teammitglieder waren ihrerseits Dozent*innen aus dem Fachbereich IT. Ihre Forschung zu Sensortechnik in der Landwirtschaft hat uns sehr beeindruckt und konnte das Projekt qualitativ noch einmal deutlich bereichern. So wurde dieser Bereich direkt mit in das Konzept aufgenommen.

Als erstes Ergebnis wurde heute zudem gemeinsam ein Name für das Projekt gebrainstormed und beschlossen: „Semillas de Amistad“ (Saatgut der Freundschaft) sollte dieses Projekt von nun an heißen.

Workshop, Logo (Fotos: Nikolai Scharsich)


Im Team Landwirtschaft hingegen wurden an diesem Tag noch keine Arbeitspakete entworfen und besprochen. Stattdessen wurden hier die Vorstellungen der Projektleitung für die kommende Zeit nochmals bekräftigt.


Im weiteren Verlauf des Tages hielt Dr. Florent Jouy aus der Eberswalder Reisegruppe noch einen Vortrag zum Thema Bodenkunde und führte mit den interessierten kubanischen Studierenden verschiedene Experimente zu Humusgehalt und -zusammensetzung durch.

Vortrag Florent Jouy (Fotos: Nikolai Scharsich)


Als Gruppe wuchsen wir in diesen Tagen immer mehr zusammen und hielten tägliche Plena ab, um unsere Erfahrungen, Erlebnisse und Emotionen zu reflektieren und auszutauschen. Wir stellten fest, dass neben der sprachlichen Barriere auch unterschiedliche Arbeitsweisen aufeinandertrafen. So stand der hierarchisch vertikal geprägten Arbeitsweise der kubanischen Seite unser Ansatz der horizontalen, flachen Hierarchie gegenüber. Während Kolima, die Projektleiterin der UNISS, die Führungsrolle der kubanischen Gruppe innehatte, waren wir sehr bemüht, jeden Schritt mit allen Teilnehmer*innen abzustimmen und einen Konsens zu finden. Das sollte uns in den kommenden Tagen auch weiter auf vielfältige Weise beschäftigen. Der soziale Austausch hingegen verlief beidseitig freundschaftlich. Dazu beigetragen hat die liebevolle und warmherzige , aber auch witzige Art unserer Gastgeber*innen. Die uns auch in ihrer Freizeit herzlichst betreuten. So hatten wir sehr viele Gelegenheiten zu intensiven Gesprächen über das Leben in Kuba, die Gefühle der jungen Menschen hier sowie über ihre Träume und Wünsche für die Zukunft.


Im Projekt ging es dann endlich auch praktisch los. Wir besichtigten das Organoponico der UNISS. Organoponicos sind die kubanischen Urban Gardening Parzellen, die landesweit über 4000-mal zu finden sind und zu einem nennenswerten Teil die Ernährung der Bevölkerung sichern. Diese meist ökologisch bewirtschafteten Kleingärten sind in Beeten angelegt. Kultiviert werden in Handarbeit die gängigen Sorten wie Salat, Gurke, Kohl, Tomate, Zwiebel, Karotten, Knoblauch und ein paar Kräuter.

Organoponico „el estadio“ (Fotos: Nikolai Scharsich)


Die UNISS möchte ihren Organoponico gerne verstärkt auch für Experimente und Projekte der Studierenden nutzen. Dazu soll dieses Projekt einen Teil beitragen. Und so kamen wir dort nun auch täglich zusammen. Manchmal alle gemeinsam, manchmal nur wir Eberswalder*innen und manchmal war Tom, der Neuköllner Stadtgärtner, auf eigene Faust mit den Uni-Gärtner*innen dort aktiv. Sein Anliegen war es, die mitgebrachte Tröpfchenbewässerung in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Mitarbeiter*innen des Organoponicos zu verlegen und anzuschließen. Was auch gelang. Hierfür scheute er keine Mühen und lief sich, auf der Suche nach fehlenden Teilen, die Füße wund.

Tom mit Gärtner am Morgen (Fotos: Nikolai Scharsich)


Florent entdeckte seinerseits eine nicht weiter beachtete „Müllhalde“ auf einem Nachbargelände. In einer gemeinsamen Entdeckungsreise führte er die gesamte Gruppe auf die Spur des Schatzes namens Humus, der sich unter Garten- und Küchenabfällen sowie Plastikmüll befand. Auch das frische Schnittgut konnte noch als Mulch zum Einsatz kommen. Dazu bekamen wir eine wahre zoologische Vorstellung geliefert. Die im Boden lebenden Kleinsttierchen waren in allen Formen, Größen und Arten vertreten und wuselten unaufhörlich in dem Haufen herum. In einer gemeinsamen Aktion trennten wir den Humus vom Müll und brauchten ihn rüber auf die Flächen des Organoponicos. Noch etwas Mulch obendrauf und das erste Beet war für eine Aussaat bereitet.

Müllhalde, Gruppe, Mulchbeet (Fotos: Nikolai Scharsich)


Die Dozent*innen der Agrarwissenschaften zeigten uns ihrerseits, wie sie durch Fermentation von Piniennadeln ein sehr effektives und ökologisches Herbi- und Pestizid selbst herstellen. Diese einfache Methode zum Pflanzenschutz könnte auch bald in Eberswalde zum Einsatz kommen. Mit diesen ersten spannenden Eindrücken freuten wir uns schon auf die noch kommenden Tage. Welchen tropischen Ausflug wir am Wochenende gemacht haben und wie es im Organoponico weiter ging, erfahrt ihr bald im zweiten Teil.


(Fotos: Nikolai Scharsich)


Mehr Infos gibt es auf dem Instagram Kanal des Projekts.

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