top of page

Vom Eberswalder zum Hambacher Forst

Ein Gastbeitrag von Elena Schick

Der eine oder die andere hat es vielleicht mitbekommen, im Hambacher Forst erleben wir seit mehreren Monaten viel kreativen Protest. Einige unserer Studierenden waren Anfang Oktober bereits zur großen Demo vor Ort (wir berichteten). Ende Oktober machten sich wieder Eberswalder*innen auf den Weg in den Hambacher Wald. RuN Studentin Elena Schick nimmt uns mit zur großen Protestaktion von Ende Gelände.


Freitag, der 26. Oktober 2018 #Anreisetag

Unser Kofferraum ist vollgepackt mit Schlafsäcken, Isomatten, Zelten, die Rucksäcke voll mit warmen Klamotten, damit wir das Wochenende mit der hohen Kunst des Zwiebellooks überstehen. Es soll kalt werden. Die Verpflegung bunkern wir vorne im Auto um jederzeit Zugriff zu haben, es wird schließlich eine lange Fahrt. Unser Ziel: Ende Gelände, eine jährlich wiederkehrende Großaktion gegen den weiteren Braunkohleabbau und für den sofortigen Kohleausstieg.

Während der Fahrt tauschen wir uns aus. Über Bezugsgruppen, Buddies, mögliche Kontakte mit der Polizei und wie wir darauf reagieren. Wir unterhalten uns über unsere Motivation, unsere Erwartungen und unsere Ängste. 10 Stunden später kommen wir dann an: In Düren, einem Ort nahe dem Braunkohletagebau Hambach.

Das Camp gleicht einem Festivalgelände. Es gibt rund um die Uhr warmes Essen und Tee, eine Bar, sogar einen Crépestand gibt es hier. Jeder ist gut gelaunt und die starke Dynamik die hier entsteht ist spürbar. Abends fallen wir erschöpft in unser aufgeschlagenes Zelt und sind gespannt auf den nächsten Tag.


Samstag, der 27. Oktober 2018 #lettheshowbegin #guteaußerirdische

07:30 Uhr Aufstehen. Die Nacht war kalt, doch der warme Porridge der KüFa hilft uns über die morgendliche Müdigkeit hinweg. Wir machen uns auf zum Treffpunkt des goldenen Fingers, die Sonne steht kurz über dem Horizont. Sie wärmt uns an diesem Herbsttag und wirft ihr Licht auf die nun dampfenden Felder in der Umgebung. Immer mehr Menschen sammeln sich am Eingang des Camps und schon nach wenigen Minuten gehen wir los in Richtung des Braunkohletagebaus am Hambacher Forst. Wir schauen hinter uns und sehen tausende Menschen in weißen Maleranzügen mit Atemmasken im Gesicht und Strohballen unterm Arm. Die taz nennt uns „gute Außerirdische“, nicht ganz zu Unrecht könnte man bei diesem Anblick meinen. 6500 sind es! Wir laufen entlang von Gemüsefeldern und durch kleine Dörfer mit verwinkelten Straßen. Viele Anwohner*innen winken uns lächelnd und unterstützend zu, manch einer beschimpft uns. Wir spüren die Spaltung der Gesellschaft.


Man hätte es ahnen können: Wir stehen einer Polizeiblockade gegenüber. Die Polizei möchte nicht, dass wir weiter in Richtung Tagebau gehen und stoppt daher den kilometerlangen Zug an einer strategischen Kreuzung am S-Bahnhof in Merzenich. Strategisch deswegen, weil ein Ausweichen schwer möglich ist. Rechts und links von uns versperren Zäune und Bahnschienen einen potentiellen Ausweg. Es folgen Gespräche mit der Polizei um die Situation zu lösen. Dafür hat Ende Gelände spezielle Leute, die für den Polizeikontakt zuständig sind. Wir nutzen die Chance und machen eine Pause: Es gibt Bananen.


Es geht weiter. Mit 40 Ordnern aus den eigenen Reihen und der Polizei nimmt der Demonstrationszug wieder Fahrt auf. Wir befinden uns nun auf einem Feldweg parallel zur Autobahn, auf den uns die Polizei umgeleitet hat. Rechts von uns die Bahnschienen, links von uns die Autobahn, welche zusätzlich mit einem Zaun abgesperrt ist. Plötzlich bricht der vordere Teil unseres Fingers seitlich aus. Hunderte Menschen rennen durch die links von uns aufgebaute Polizeikette, „durchfließen“ nennt man dies im Fachjargon von Ende Gelände. Wir tauschen kurz Blicke aus und entscheiden: Let’s go! Wir überqueren die Felder, die zwischen Feldweg und Autobahn liegen, und bewegen uns direkt auf die Autobahn zu. „Das kann doch nicht der Plan sein?“ schießt durch unsere Köpfe, während wir uns im Getümmel als Bezugsgruppe verlieren. Da sind wir nicht alleine. Die Rufe nach „Pizza“, „Kartoffelsalat“ oder „Blumenkohl“ werden lauter und verursachen ein aufkommendes Hungergefühl. Ja, die Aktivist*innen neigen dazu ihren Bezugsgruppen Essensnamen zu geben, ein durchaus bekanntes Phänomen. Wir rufen uns bei unserem Bezugsgruppennamen „Spätzle“ und entdecken schon bald wieder die anderen. Vor uns überwinden einige die Absperrung zur Autobahn, den anschließenden Hang und gelangen vorbei an Wasserwerfern über die gesperrte Autobahn zur Hambachbahn. Die wenigen Polizist*innen vor Ort rücken jedoch kurz darauf an, gehen nicht sparsam mit ihrem Pfefferspray um und geben ihr Bestes um die restliche Masse aufzuhalten. Auch wir überlegen kurz, ob wir die Autobahn überqueren sollen, entscheiden uns dann aber dafür als Gruppe zusammen zu bleiben und den Kontakt mit den mittlerweile stark durchgreifenden Polizisten zu vermeiden. Alle von uns sollten sich wohlfühlen.

Während die Polizei Aktivist*innen oben am Hang radikal mit Knüppel und Pfefferspray zurückdrängt, bewegen wir uns ruhig zur ursprünglichen Route zurück. Die Polizeiführung hat nun einen guten Anlass unseren Demonstrationszug zu stoppen, die „Versammlung offiziell aufzulösen“ und uns zurück zum Camp laufen zu lassen. Dabei werden wir noch gebeten doch „bitte nicht zu trödeln“.


Mit nun deutlich entspannteren Polizist*innen geht es zurück ins Camp. Auf dem Weg werden wir durch die KüFa mit warmem, veganem und regionalem Bio-Essen versorgt. Vielen Dank an dieser Stelle!

Als wir zurück zum Camp laufen, geht die Sonne im Westen schon wieder unter. Nächste Woche, Mitte November, soll es hier 18 Grad warm werden – ca. 8 Grad wärmer als im langjährigen Durchschnitt.

Zurück im Camp erfahren wir, dass sich auf der anderen Seite der Autobahn mittlerweile über 3.000 Aktivist*innen eingefunden und die Schienen der Hambachbahn besetzt haben. Das Ziel: Den Betrieb des Kohlekraftwerkes durch die fehlende Versorgung mit Kohle lahmzulegen. Knapp 1.500 Menschen verbringen zudem die Nacht dort und halten die Blockade über 12 Stunden aufrecht. Am nächsten Morgen verlassen Sie friedlich und ohne polizeiliche Maßnahmen die Blockade und werden jubelnd und herzlich zurück im Camp empfangen.


Am nächsten Tag ziehen wir unser Fazit auf unser Heimfahrt nach Eberswalde. Überraschend, eindrucksvoll und motivierend sind die Begriffe die unsere Erlebnisse am besten beschreiben. Wir waren überrascht, von der herrschenden Polizeigewalt aber auch von der tollen Gemeinschaft und dem Zusammenhalt unter allen Aktivist*innen. Beeindruckt waren wir von der krassen Infrastruktur des Camps und der unglaublichen Anzahl an Menschen die sich für den Protest zusammengefunden haben. Motiviert hat uns diese Aktion um sich auch in Zukunft gegen den Kohleabbau stark zumachen und für die eigenen Vorstellungen und Rechte zu kämpfen, nämlich für eine Welt mit Zukunft!


Und auch wenn wir nicht direkt an der Blockade beteiligt waren, jeder ist bei Ende Gelände ein Puzzleteil im großen Ganzen und trägt dazu bei, ein Zeichen zu setzten.

Wir werden nächstes Jahr wieder dabei sein, vielleicht du auch?



bottom of page