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Ist das Kunst oder schon Natur?



Am 10. April strömten Neugierige zu ungewöhnlich später Stunde auf den Stadtcampus: Studis, Dozent*innen, Kunstbegeisterte und Künstler*innen. Während die Sonne irgendwo hinter der Alten Forstakademie unterging, wurden in der Aula die Lichter angeknipst. Die erste Eberswalder Nachhaltigkeitsgesellschaft dieses Jahres ging der Frage nach, warum Kunst für die nachhaltige Entwicklung unverzichtbar ist. Darüber sprach Professor Dr. Pierre Ibisch, gemeinsam mit Ilona Kálnoky und Georgia von der Wettern, die 2008 das UM-Festival ins Leben riefen.

Nachdem sie 2007 mit 12 weiteren Initiator*innen den gemeinnützigen Verein Freunde der Uckermark e.V. gegründet hatten, besuchten hauptsächlich deren Freunde das Kulturfestival.

Heute zählt der Verein über 100 Mitglieder. Inzwischen sind es auch um die 2000 Gäste, die sich in der malerischen nordbrandenburgischen Moränenlandschaft zeitgenössischer Kunst, Musik und Literatur hingeben. Zumindest alle zwei Jahre, immer, wenn das Festival stattfindet und vor allem Berliner raus auf Feldwege und Wiesen lockt.

Mehr sollen es auch gar nicht werden, meinen die Künstlerinnen, denn die dünn besiedelte Region würde sonst an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Das Event soll Land und Leute rund um Gerswalde „nachhaltig unterstützen“, so wünscht es sich der Verein. Die Gäste bleiben für zwei Tage dort und in den nächstgelegenen Ortschaften. Sie bewegen sich nach Lust und Laune zwischen verschiedenen Veranstaltungen im Umkreis – idealerweise mit dem Rad oder zu Fuß. Dabei bekommen sie eigentümliche Objekte zu sehen, verkleidete Reiter, bunte Flatterbänder an Aussichtswarten. Die UM-Festivalskunst ist nämlich nicht in weiß getünchten Räumen ausgestellt, sondern unter freiem Himmel zu betrachten.

Künstlerin Ilona Kálnoky sagt, sie habe außerhalb von Galerien schaffen wollen. Das Draußen macht alles anders. Wie kann die Landschaft die Kunst verändern? Was bewirkt das in uns? Sie erzählt vom Projekt einer Künstlerin auf einem vergangenen Festival; die habe über mehrere Wochen Neonazi-Sprüche in der Umgebung gesammelt, auf Postkarten geschrieben und auf einer uckermärkischen Wiese ausgestellt. Zunächst, bei Sonnenschein, schien das Gesamtbild idyllisch. Später am Tag kam ein heftiger Wetterumschwung. Trübes Grau hüllte die Karten samt Sprüchen ein, ein erster Anflug von Herbstnebel. Ein Anblick, der den Betrachter Schauer über den Rücken jagte.

Gleichzeitig verändert natürlich Kunst die Landschaft. Das kann auch schon mal zu Unverständnis und Missmut führen.

Schließen sich Kunst und Natur gegenseitig aus? Sind sie Antagonismen? Als das Festival mit seiner zeitgenössischen Kunst erstmals öffentlichen Raum einnahm, war etwas ein Bauer wenig begeistert von Flatterbändern auf seinem Feld. So frei ist die Kunst dann doch nicht, Platz auf fremdem Eigentum nehmen zu dürfen. Oder doch? Sollte sie das? Und wenn Kunst so frei ist, kann sie überhaupt zu etwas dienen? Kann sie dazu dienen, Menschen Nachhaltigkeit nahe zu bringen?

Immerhin schafft Kunst Öffentlichkeit, die öffentliches Denken möglich macht.

Die UM-Festival-Gründer meinen, dass Menschen sich an Orte erinnern, an denen sie Kunstobjekte betrachtet haben. Sie entdecken durch die Ausstellungen Stücke von Natur, die sie vorher nicht kannten, und bauen eine Beziehung zu ihnen auf. Und, so Pierre Ibisch, Nachhaltigkeit ist, „wenn Menschen etwas miteinander zu tun haben, die sich sonst nie getroffen hätten.“

Wo Kunst ist, treffen womöglich Leute, die bisher Ideen von Nachhaltigkeit ablehnend gegenüberstanden, auf andere Standpunkte. Sie könnten ihre Einstellung überdenken, wenn sie sich austauschen. Diesen Dialog bräuchten wir, meint Professor Dr. Heike Molitor, die im Publikum sitzt. Damit könnte Kunst mit Bildung für Nachhaltige Entwicklung zusammenwirken. Sie wäre auch an eben so einer Professur an der HNE interessiert!

Pierre Ibisch zeigt ein Foto von präparierten Schmetterlingen in einem Naturkundemuseum. Die filigranen, bunten Körper sind jeder für sich ein großes, kleines Kunstwerk. „Ist das noch Natur oder schon Kunst?“, fragt er.

Ist nicht alles an der Natur – nicht angepinnt in einer Galerie, sondern eben frei -  ein Kunstwerk? Wenn wir uns selbst mit Kunst beschäftigen oder sie schaffen, werden wir dafür sensibler. Auf diesem Weg könnten auch Städter*innen ihren Weg zur Natur und zur nachhaltigen Entwicklung finden.

Lange Zeit stand der Mensch im Mittelpunkt der (europäischen) Malerei, dann schlich sich auf den Bildern Landschaft im Hintergrund ein. Irgendwann stand sie sogar im Vordergrund.

Lange Zeit stand als Ziel das Wirtschaftswachstum im Mittelpunkt des europäischen Handelns, dann schlichen sich Gedanken an Nachhaltigkeit ein…

Mit Kunst machen sich Menschen ein Bild von der Welt. Sie spricht uns an, löst immer etwas in uns aus, drückt das Innere des Künstlers aus. Ohne sie (oder auch Musik, Literatur,) könnten wir unser Leben nicht bewältigen, sagt jemand aus dem Publikum. Sie stehe für das Gute, Schöne, und schärfe unsere Wahrnehmung. So waren es auch die UM-Festival-Initiatoren, größtenteils Berliner Künstler, die sich gegen den Bau einer Biogasanlage in der Uckermark wehrten. Dass die Schönheit dieser Landschaft gestört werden sollte, die sie so inspirierte, wollten sie nicht hinnehmen. Also kann uns Kunst zum (positiven) Handeln bringen. Und wer weiß, wozu wir fähig sind, wenn wir selbst Kunst schaffen, möglicherweise in der Natur. Vielleicht sind da plötzlich lauter andere Künstler*innen um uns herum, die mit uns arbeiten, uns auf neue Ideen bringen?

Das wäre doch mal einen Selbstversuch im Ammonpark wert.

Auf dem Eberswalder Energiecampus ist im September die Eröffnung einer neuen Kunstausstellung der Stadt geplant. „Der süße Brei“ beschäftigt sich mit dem im Kapitalismus ewig beschworenem Wachstum.

Ilona Kálnoky und Georgia von der Wettern wünschen sich für die Zukunft ein komplett müllfreies UM-Festival. Sie sind dabei auch offen für mögliche Ideen von Studierenden. Bis zum ersten September ist noch Zeit, dann startet das Festival für zwei Tage in Fergitz, Pinnow und Gerswalde, bevor es wieder für zwei Jahre pausiert.

Die Eberswalder Nachhaltigkeitsgesellschaft geht schon am 21. Juni in die nächste Runde, wo sich alles um Wirtschaft und Nachhaltigkeit in China dreht. Zukunftsfähige Politik ist im Oktober dran. Im Dezember geht es mit  „Nachhaltigkeit und Musik“ weiter. Wir sind gespannt!

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