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Beratung im Ökolandbau – Weekender Edition

Aktualisiert: 1. Nov. 2021

Ein Gastbeitrag von Laura Hübner & Nikolai Scharsich


Im Studiengang Öko-Agrarmanagement gibt es das WPM „Beratung im Ökolandbau: Konzepte, Methodik und Organisation“. Die zwei Lehrenden in dem Modul sind – neben Gästen aus der Beratung - Dr. Marianne Nobelmann und Dr. Henrike Rieken. Jedes Jahr im Sommer findet das Modul statt. Zu den Seminaren im virtuellen Hörsaal gehören zwei dreitägige Trainings: Das Herzstück des Moduls. Denn: Beratung lernen geht nicht nur in der Theorie. Dazu braucht es Anwendung und Reflexion sowie einen vertraulichen und sicheren Rahmen. Um es möglichst echt zu machen, arbeiten die Studierenden an eigenen Anliegen.


Training I // Einzelberatung: Wie läuft Beratung ab?

Am letzten Mai Wochenende fand das Training 1 des Moduls „Beratung im Ökolandbau“ in der Alten Forstakademie statt. Zum ersten Mal in diesem Semester kamen die Kommiliton*innen verschiedener Studiengänge des Fachbereichs II und IV nach dem langen Corona-Lockdown-Winter in Präsenz zusammen, um gemeinsam zu lernen, zu trainieren und zu praktizieren.

Als morgendliches Begrüßungsritual fanden sich die Teilnehmer*innen täglich ab 08:15 Uhr ein, um per Selbsttest ihre Negativität gegenüber Covid-19 unter Beweis zu stellen. Direkt anschließend wurden die Sinne der Teilnehmer*innen bei einem gemeinsamen „Energizer“ für die kommenden Stunden geschärft.

Unter der Diskokugel auf dem Stadt-Campus der HNEE wurden während der Wochenenden verschiedene, unterhaltsame Energizer (kleine spielerische Einheiten) durchgeführt, welche von den beiden Dozentinnen angeleitet wurden. So stellte sich von Beginn an ein sehr kollegiales Miteinander ein, was für den weiteren Verlauf der Veranstaltung von großer Bedeutung sein sollte.

Auf Grund der Corona-Schutzmaßnahmen, musste die Gruppe auf zwei Räume aufgeteilt werden. Per Video-Live-Schaltung und Mikrofon wurde das Gesagte und Präsentierte aber immer für beide Gruppenteile sicht- und hörbar gemacht.

Beginn des Beratungstrainings auf dem Stadtcampus, Foto Credits: Nikolai Scharsich


Tag 1 // Der Beratungsprozess

Der erste Tag befasste sich inhaltlich zu Beginn mit den Grundlagen des Beratungsprozesses. Dabei wurde ein Prozessmodell vorgestellt, dessen „Basislandkarte kooperativer Beratung“ den Prozess in drei Phasen beschreibt: vom Entstehen des Bedürfnisses nach Veränderung hin zur Entwicklung eines einladenden Raumes, in welchem Verständnis, Anerkennung und Orientierung gegeben wird. Schließlich, nach einem nicht linear, sondern zirkulär verlaufenden Prozess, wird zur passenden Zeit der nächste Schritt für die Beratungssuchenden in Richtung Lösung deutlich.

Im weiteren Verlauf des ersten Tages konnten die Studierenden in Dreier-Gruppen selbst aktiv werden. Bei der ersten Übung ging es um das „aktive Zuhören“. Dies wurde trainiert, indem der*die jeweilige Gesprächspartner*in zu Beginn seiner*ihrer eigenen Ausführungen die Kernaussagen des Gegenübers in eigenen Worten wiedergibt, bis diese inhaltlich zustimmten.

In einer weiteren Übung wurde schließlich zu zweit das Bewusstheitsrad praktiziert. Hier schildert ein*e Klient*in einer*m Berater*in ein selbstgewähltes Thema aus dem Privaten. Die beratende Person führt den*die Klient*in durch die verschiedenen Ebenen der Bewusstheit. Diese wurden als „Bodenanker“ ausgelegt und umfassen die Bereiche Wahrnehmung, Interpretation, Gefühl, Selbstwert, Handlungsabsicht und Handlung.


Tag 2 // Die 4+1 A´s der Auftragsklärung

Der zweite Tag stand ganz im Zeichen der Auftragsklärung. Dabei wurde das Modell der 4 + 1 A´s präsentiert. Dieses Modell gibt den Berater*innen Orientierung hinsichtlich des Einstiegs in eine Beratung. In der ersten Phase der Beratung werden grundlegende Fragestellungen geklärt. Zuerst wird dabei der konkrete Anlass der Beratung erfragt. Daraufhin wird das genaue Anliegen der Klient*innen geklärt. Zum einen wird hier eine genauere Beschreibung des Problems vorgenommen, zum anderen aber auch die Vorstellungen und Wünsche der Klient*innen gegenüber der*dem Berater*in ermittelt. In der dritten, der Auftrags-Phase, wird geklärt, welchen Beitrag die Beratung zum Lösen des Problems leisten kann. In der Phase Abmachung werden dann die Rahmenbedingungen geklärt, also was kann Beratung leisten und was nicht sowie das Honorar und weitere Bedingungen. In der letzten Phase, der +1 Phase geht es dann schließlich um den Arbeitsbeginn - also die Fragen nach dem wo stehen wir jetzt und wie fangen wir an.

Dieses Modell wurde anschließend in zwei Rollenspielen durch die Studierenden praktisch trainiert – es ging um eine Gärtnerei und einen landwirtschaftlichen Familienbetrieb.

Übungen und Rollenspiele, Foto Credits: Nikolai Scharsich


Tag 3 // Werkzeuge der Beratung

Am dritten und letzten Tag des ersten Trainings wurden den Studierenden weitere Werkzeuge für den Beratungsprozess vorgestellt, z.B. die Lösungsorientierte Beratung nach Steve de Shazer und Insoo Kim Berg . In einer Übung wurde deutlich, dass Lösungen von den Problemen unabhängig zu betrachten sind. Es wurden zwei gegenüberstehende Kreise gebildet, die sich nach jeder gestellten Frage weiterbewegten, sodass jede der fünf zu stellenden Fragen zwischen zwei neuen Pärchen gestellt und beantwortet wurden. Es zeigte sich, dass lösungsorientierte Fragen gänzlich ohne Problembewusstsein gestellt und dennoch zur Lösung des Problems des Klienten beitragen können. Auch die Techniken der Wunderfrage, der zentrifugalen Exploration und Skalierungsmethoden wurden vorgestellt. Darüber hinaus wurden auch Techniken der Systemischen Fragen dargestellt und anschließend praktisch geübt.

Auf besonders anschauliche Weise wurde das Konzept des „Inneren Teams“ nach Friedemann Schulz von Thun präsentiert und über das Anliegen eines Student*in praktisch erprobt.

Zum Abschluss des ersten Trainings wurde das Gelernte spielerisch und szenisch aufbereitet. Alle Teilnehmer*innen des Trainings stellten in beeindruckender Art und Weise eines der Themen der letzten drei Tage vor. Gerne erinnern wir uns an den Boxkampf, in dem die gestörte Gegenwart auf die Figur des Neuen stieß. So nahm das erste Training einen fröhlichen und spielerischen Ausklang.

Abschluss des ersten Wochenendes in Sketch-Form, Foto Credits: Marianne Nobelmann, Henrike Rieken


Training II // Beratung von Gruppen

Tag 1 // Kollegiale Beratung

Nachdem wir das Gelernte aus dem ersten Training nun zwei Wochen sacken lassen konnten, ging es Mitte Juni an einem Freitag um 8:30 Uhr wieder mit vollem Elan unter der Diskokugel auf dem Stadtcampus los. Denn da die Fallzahlen weiter gesunken waren, konnte auch das zweite Training wieder in Präsenz stattfinden! Mit vorherigen Tests, Masken, Lüften und innovativem Raumkonzept natürlich.

Beim Check-in hat sich gezeigt, dass viele von uns die Grundlagen aus dem ersten Training schon an ihren Freund*innen und Bekannten oder auch bei sich selbst ausprobiert haben. Aktives Zuhören konnte den einen oder die* andere Partner*in glücklich stellen und die Einberufung des inneren Teams in manch einer verzwickten Situation zu einer klareren Ausrichtung führen. Wir waren gespannt, was dieses Wochenende, das sich um die Beratung von Gruppen drehen sollte, für uns bereithalten würde.

Zunächst einmal ging es um die Definition und Unterscheidung von Gruppen und Teams. Das ist nicht trivial, denn wir müssen unsere Klient*innen und die Kontexte in denen sie sich bewegen ja kennen. Handelt es sich um eine Gruppe, die zwar ein gemeinsames Ziel haben kann, aber unter Umständen kaum im Kontakt untereinander ist oder wird ein Team beraten, dass auf Kooperation angewiesen ist, um einen gemeinsamen Arbeitsauftrag zu erfüllen?

Das Herzstück des ersten Tages war die kollegiale Beratung, zu der wir zuerst einen theoretischen Input bekamen und die wir dann im nächsten Schritt anhand eigener, realer Fälle ausprobieren konnten. Eine kollegiale Beratungsgruppe setzt sich aus Menschen zusammen, die im Alltag Kolleg*innen sein könnten, aber nicht direkt zusammenarbeiten. Sie haben ähnliche Erfahrungen und stehen vor ähnlichen Problemen im (Berufs-) Alltag und können sich somit wechselseitig bei ihren Anliegen unterstützen. Diese Form der Beratung kommt ohne professionelle*n Berater*in aus, diese*r hilft lediglich beim Initiieren der Gruppe und Vertraut-machen mit Ablauf und Methoden der Beratung. Hilfe zur Selbsthilfe wie es im Buche steht und sicherlich auch auf viele Lebensbereiche adaptierbar ist.

Im zweiten Teil des Tages ging es um die Ziele, Aufgaben und Methoden von Moderation. Auch hier konnten wir das Gehörte wieder direkt erproben, und zwar bei einer moderierten Diskussion über die Ausgestaltung eines Outdoor Classrooms -vielleicht auch bald an der HNEE? :)

Natürlich wurde dieses Training auch wieder mit Energizern begleitet. Nicht zu vergessen ist außerdem der Kaffeetisch, den wir dieses Mal nicht missen wollten. Denn was ist neben softskills und einem adäquatem Maß an Fachwissen auch wichtig für jede Beratungssituation? Richtig, das Setting. Nach dem ersten Trainingstag gab es deshalb auch erstmal ein Feierabendradler im Weidendamm. War ja auch ein heißer Tag und jetzt war es endlich auch coronatechnisch wieder möglich.

Pause muss auch mal sein, Foto Credits: Nikolai Scharsich


Tag 2 // Gruppenberatung

Der Kaffeetisch bekommt Zuwachs, heute durch Kekse und Schokolade, ein gutes Zeichen. Auch ein gutes Zeichen ist, das wieder alle da waren. Und so ging es motiviert los in den zweiten Tag, der im Zeichen der Gruppenberatung stand. Diesmal nicht durch die Gruppenmitglieder selbst sondern durch eine außenstehende Person: den*die Berater*in. Wir haben ein Modell zur Erklärung von Teambildungsprozessen kennengelernt und uns wurden einige Methoden zur Reflexion solcher Prozesse an die Hand gegeben, bevor wir zwei Methoden, die „Walt-Disney-Methode“ und „Zurück aus der Zukunft“, zur Beratung von Gruppen im Rahmen von Rollenspielen selbst ausprobieren konnten. Sowohl Gruppe „Walt-Disney-Methode“ als auch Gruppe „Zurück aus der Zukunft“ wurden dabei jedoch jäh unterbrochen als die Rückschlagklappen im Keller des Gebäudes Alarm läuteten. Deshalb wurden wir dann erstmal evakuiert und in Haus 1 verfrachtet. Die volle Härte des Berater*innenalltages traf die beratenden Rollenspieler*innen dann in Form von vorbeilaufenden Spinnen, Straßenlärm und lebhaften Gruppen. Aber besser lässt sich ja gar nicht kennenlernen, worauf mensch sich im Beratungsalltag einlässt. Spaß hat es auf jeden Fall gemacht und belohnt wurde ein Teil der Gruppe wieder mit einem Feierabendbier im Sportstadion, diesmal zwar mit Gewitter statt Sonne, aber trotzdem glücklich.


Tag 3 // Die Gruppe als Beratungsinstrument

Der Tag startete mit einer kollektiven Dackel Waldermar-Einlage, einer „was gibt’s?“-Runde und der Vorstellung unseres Gastes. Am allerletzten Tag des Beratungstrainings ging es nämlich darum, wie eine Gruppe als Beratungsinstrument genutzt werden kann. Dazu wurde Charlotte Kling, eine Regioberaterin aus dem Projekt „NutriNet“, bei dem u. a. auch Henrike Rieken für die HNEE mitwirkt. Sie hat uns zunächst ihre Arbeit im Projekt und als Beraterin vorgestellt und uns berichtet, wie dabei die Praxiskompetenzen jedes ihrer Klienten (ja es sind tatsächlich nur Männer) als Beratungsgrundlage dienen und wie diese verschiedenen Kompetenzen im Gruppenprozess so moderiert werden können, dass dem*der Falleinbringer*in neue Handlungsmöglichkeiten auf den Weg gegeben werden können. Eine gelungene Zusammenführung aus dem, was wir bei diesem Training gelernt haben und wie es uns eventuell später im eigenen Berufsalltag begegnen kann.

Nach dem Mittag haben wir uns noch ein paar Mal von A nach B gejagt, um wieder energetisiert zu werden, und uns dann der Erstellung eigener, auf reale Veranstaltungen angepasster Drehbücher gewidmet. Denn ein Drehbuch ist ein sehr nützliches Tool, um eine Beratungs- oder Moderationsveranstaltung zu planen und dabei gesetzte Ziele mit geeigneten Methoden auf übersichtliche Art zusammenzubringen.


Dann war das Training tatsächlich schon vorbei. Natürlich nicht, ohne dass wir den gesamten Prozess auch selbst noch einmal Revue passieren lassen haben. Das geschah innerhalb einer Blitzlichtrunde und für eine persönliche Reflexion im Anschluss noch im Rahmen einer Bildergalerie, aus der wir uns ein ansprechendes Bild aussuchten und den anderen präsentieren sollten. Am Ende war dafür auch wirklich ein vertraulicher Raum da, was verdeutlicht, dass wir doch ganz gut als Gruppe zusammengewachsen sind. Ob das vor unseren Bildschirmen auch möglich gewesen wäre? Wohl eher nicht. Präsenzlehre macht einen Unterschied! Wir sind sehr dankbar, dass unsere Dozierenden Marianne Nobelmann und Henrike Rieken uns diesen Präsenz-Raum geschaffen und somit ein Lernen auf so vielen Ebenen ermöglicht haben!



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