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Demokratie ist kein Hindernis, sondern Teil der Lösung für die regionale Umsetzung der Klimaziele

HNEE Absolventin Tessina Ott über Demokratie und Klimawende in der Prignitz - und zwei konkrete Maßnahmen: Wind- und Lastenräder. 


Wie kann die Klimawende gelingen, ohne dass demokratische Prozesse auf der Strecke bleiben? Diese Frage hat Tessina Ott, Absolventin des Masterstudiengangs NaRegio in ihrer Masterarbeit im letzten Jahr beschäftigt. Unter dem Titel „Im Spannungsfeld zwischen Klimawende und Demokratie – Die Bedeutung von Demokratie für eine gelingende Klimawende in ländlichen Räumen am Beispiel Prignitz“ untersuchte sie, wie demokratische Strukturen die Klimawende im ländlichen Raum beeinflussen.


Vom Seminar zur Forschungsfrage

Die Idee entstand während einer Diskussion im Studium. „Wir haben damals darüber gesprochen, ob man sich für Klimaschutz oder für demokratische Mitbestimmung entscheiden würde, wenn man müsste“, erzählt Tessina. „Dieser Gedanke hat mich nicht mehr losgelassen. Um die Klimaziele noch zu erreichen, müssen wir beim Klimaschutz jetzt richtig Gas geben. Der Zeitdruck kann dazu verleiten, stärker top-down handeln und über Widerstände hinweggehen zu wollen. Ich wollte wissen: Muss man auf demokratische Prozesse verzichten, um die Klimaziele noch zu schaffen oder ist sie vielleicht sogar Voraussetzung dafür?“


Warum die Prignitz?

Für ihre Forschung wählte Tessina die Prignitz, den am dünnsten besiedelten Landkreis Deutschlands. Die Region steht exemplarisch für viele ländliche Räume Ostdeutschlands. Sie 

ist stark von Veränderungsprozessen geprägt und zugleich Schauplatz der Energiewende. „Ländliche Räume können von Klimaschutzmaßnahmen stärker betroffen sein als Städte, etwa durch Windkraftanlagen oder mangelnde Alternativen Individualverkehr. Zugleich wirken dort die Transformationserfahrungen nach, viele Menschen haben Verlust- und Abstiegsängste“, erklärt sie. Ihre Masterarbeit war in das Forschungsprojekt „InNoWest“ eingebettet, das nachhaltige Innovationsprozesse in Nord-West-Brandenburg erforscht. „InNoWest hatte in der Prignitz bereits einen Transferort, über den ich leichter Zugang zu Expert*innen und Akteur*innen vor Ort finden konnte. Das war für meine Forschung ein großer Vorteil, weil ich so wirklich in den Dialog mit den Prignitzer*innen kommen konnte.“


Zwischen Windrädern und Lastenrädern

In ihrer Masterarbeit konzentrierte sich Tessina auf zwei Fallbeispiele: Zum einen auf einen regionalen Konflikt um den Ausbau von Windenergie, zum anderen auf ein Projekt zur Einrichtung einer Lastenrad-Leihe in der Region. Dafür führte sie Expert*innen-Interviews und eine Dokumentenanalyse durch. „Ich wollte verstehen, wie Demokratie in der Region gelebt wird, also wie Aspekte von Demokratie, zum Beispiel Gerechtigkeit, Freiheit und Beteiligung in der Prignitz erlebt werden und welchen Einfluss das auf den Erfolg der Klimawende hat am Beispiel von zwei Maßnahmen, sagt sie. Besonders eindrücklich waren für sie die Interviews mit Menschen aus der Region. „Mir wurde bewusst, wie stark die Erfahrungen der Wendezeit bis heute nachwirken und dass bei vielen Menschen vor Ort ein tiefes Gefühl von Ungerechtigkeit oder Ohnmacht besteht. Das kann den Blick auf Veränderungsprozesse, wie die Klimawende, stark beeinflussen. Durch die Gespräche konnte ich die Gefühle von Angst, Wut und Enttäuschung besser nachvollziehen, gerade als jemand, der in Westdeutschland geboren ist und die Zeit nur aus Erzählungen kennt.”


Demokratie als Motor oder Bremse?

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Ihre Ergebnisse zeigen, dass Aspekte einer Demokratie als Gesellschafts- und Lebensform, wie beispielsweise Freiheit, Solidarität, politische Partizipation und Gerechtigkeit Klimaschutz sowohl fördern als auch zum Teil behindern kann. „Demokratische Prinzipien wirken sich vor allem dann negativ aus, wenn sie nicht richtig funktionieren“, erklärt Tessina. „Wenn Menschen beispielsweise das Gefühl haben, dass die Kosten der Energiewende ungerecht verteilt sind, protestieren sie eher gegen den Windkraftausbau. Wenn Beteiligung aber gelingt, kann sie Projekte überhaupt erst möglich machen, wie die Lastenrad-Leihe, die durch bürgerschaftliches Verantwortung und Engagement innerhalb eines Forschungsprojektes dann auch eingerichtet wurde.“ Tessina unterscheidet in ihrer Arbeit zwischen demokratisch engagierten und weniger engagierten Personen. „Die Engagierten schätzen Demokratie als hohen Wert und haben ein starkes Bewusstsein für Demokratiegefährdungen. Bei den weniger Engagierten fehlen dagegen oft demokratische Kompetenzen, wie beispielsweise Solidarität, Kooperationsfähigkeit und Kommunikationskompetenz oder das Vertrauen in Beteiligungsprozesse.“ Diese Beziehung fasst sie in einem Modell zusammen, was verdeutlicht: Eine funktionierende Demokratie fördert die Klimawende, und wo Demokratie nicht funktioniert, wird der Erfolg der Klimawende beeinträchtigt.


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Tessinas Handlungsempfehlungen zur Demokratiestärkung in der Prignitz umfassen z.B. politische Bildung, die Schaffung von Kommunikationsräumen und die Ausweitung von Bürger*innenbeteiligung. „Menschen könnten darüber informiert werden, warum bestimmte Klimaschutz-Maßnahmen umgesetzt werden und welche Vorteile sie selbst davon haben. Wenn zum Beispiel Gemeinden Einnahmen aus erneuerbaren Energien erzielen, könnte sichtbar gemacht werden, wofür diese Mittel verwendet werden.“ Auch die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und das Sichtbarmachen von Demokratie und ihren Vorzügen seien wichtige Bausteine, um Akzeptanz und demokratische Teilhabe langfristig zu stärken.


Für Studierende, die selbst an der Schnittstelle von Klima und Demokratie forschen wollen, hat Tessina einen Tipp: „Eine  sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Begriff „Demokratie“, ihn sauber definieren Für persönliche Interviews ist es ratsam sensibel mit den Menschen vor Ort zu arbeiten, d.h. offen und wertschätzend zuhören, und nicht vorschnell verurteilen - das war für mich sehr wichtig.“ Wer mehr über Tessinas Masterarbeit erfahren möchte, findet hier die vollständige Arbeit auf der Website von InNoWest Brandenburg zum Download: https://innowest-brandenburg.de/beitraege/masterarbeit-bei-in-no-west-wie-die-klimawende-in-der-prignitz-demokratisch-gestaltet-werden-kann

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