Erotik, Politik und kollektive Arbeit - Wie Other Nature neue Wege geht.
- Gina Lindemann; Alina Jung; Lena Peteranderl
- 8. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Ein Bericht über einen Besuch des alternativen Sexladens

Wie sieht ein Laden aus, der nicht primär Produkte verkauft, sondern vor allem Bildungsarbeit betreibt? Und was passiert, wenn Arbeit nicht entlang von Hierarchien organisiert wird, sondern kollektiv? Am 6. April 2025 durften Teilnehmende des Moduls: Teampreneurship genau das erleben – bei einem Besuch im queeren, feministischen und nicht-kapitalistisch orientierten Sexshop Other Nature in Berlin.
Im Gespräch mit Lukas wurde tief in die Geschichte, die Struktur und die Philosophie dieses besonderen Ortes eingetaucht. Lukas ist seit 9 Jahren bei Other Nature beschäftigt und hat das Kollektiv mitbegründet. Der Austausch ließ die Studierenden verschiedener Studiengänge der HNEE inspiriert, aber auch nachdenklich zurück – über kollektives Arbeiten, Idealismus im Alltag und die Herausforderungen, die entstehen, wenn man alternative Wege wirklich gehen will.
Ein besonderer Laden mit Geschichte
Other Nature ist kein gewöhnlicher Sexshop. Der Laden hat sich der feministischen Bildung und sexuellen Aufklärung verschrieben. Er richtet sich an ein queeres Publikum und verfolgt feministische, anti-diskriminierende und nachhaltige Grundsätze. Schon die Auswahl der Produkte – von Toys über Literatur bis hin zu alternativen Menstruationsartikeln – liegt einer klaren Haltung zu Grunde: kein Bodyshaming, keine heteronormativen Klischees, keine patriarchale Werbung. Stattdessen Vielfalt, Inklusion, Aufklärung – und Raum für Selbstermächtigung. Ins Leben gerufen wurde der Laden 2011 von Sara Rodenhizer und ihrer Mitgründerin, zunächst noch ganz klassisch als GbR. Erst als die Rolle der Geschäftsführung durch eines der Teammitglieder neu besetzt werden sollte, kam es zur Transformation: 2019 wurde Other Nature eine GmbH, was auch die jetzige Rechtsform ist. Viel wichtiger noch: Other Nature wird seit 2021 bis heute als Kollektiv geführt, getragen von den Menschen, die dort arbeiten.
Der Weg zur Wir-Kraft – Kollektiv werden heißt Kompromisse wagen
Die Entscheidung, ein Kollektiv zu werden, fiel nicht über Nacht. Lukas erzählte von einem langen, oft anstrengenden Prozess: Mehr als ein Jahr lang traf sich das damalige Team regelmäßig außerhalb der Arbeitszeiten, um gemeinsam zu verhandeln, zu planen und zu gestalten. Wie geht man mit Konflikten um? Wie will man zusammenarbeiten? Welche rechtliche Struktur brauchen wir?
Heute gehört der Laden einem Verein, der eigens dafür gegründet wurde. Alle Mitarbeitenden sind Teil dieses Vereins und damit auch des Kollektivs.
Kollektives Arbeiten im Alltag
Der Alltag im Kollektiv ist geprägt von hoher Eigenverantwortung. Alle übernehmen bestimmte Rollen, sei es für Finanzen, Social Media, Produktbestellungen oder Workshoporganisation. Diese Rollen sind transparent verteilt und werden regelmäßig neu verhandelt. Bei einarbeitungsintensiven Aufgabenbereichen wie Finanzen haben sich regelmäßige Rollenwechsel jedoch als unpraktisch erwiesen. Bestimmte Entscheidungen wie Neueinstellungen werden im Plenum abgestimmt, das einmal pro Woche stattfindet. Hier kommen alle Kollektivmitglieder für mindestens zwei Stunden zusammen (das reicht meist kaum aus, erzählt Lukas mit einem Grinsen). Gleichzeitig gibt es ein informelles Leitungsteam, das Vier-Personen-Komitee, dessen Mitglieder besonders viel Arbeitszeit, Erfahrung oder Verantwortung (bei)tragen. Sie treffen sich zusätzlich einmal pro Woche, um kleinteilige Entscheidungen zu treffen. Lukas sprach sehr offen über diesen Widerspruch: Auch im Kollektiv entstehen Hierarchien – durch Wissen, Verantwortung, Zeit. Entscheidend sei aber der bewusste, reflektierte Umgang damit.

Kommunikation ist das A und O
Ein Thema zog sich durch das gesamtes Gespräch: Kommunikation. Sie ist die Grundlage jeder kollektiven Struktur – und gleichzeitig die größte Herausforderung. Es gibt feste Feedbackformate, Peer-to-Peer-Gespräche, externe Supervisionen. Trotzdem: Unter Arbeitsdruck geraten diese Strukturen oft ins Hintertreffen. Das kann zu Frustration führen, zu Missverständnissen, zu einer Schieflage im Team. Transparente Gehälter Other Nature ist zwar wirtschaftlich stabil und hat sich über die Jahre bewährt – ein Selbstläufer ist das Projekt jedoch nicht. Die Löhne sind niedrig, die meisten arbeiten in Teilzeit oder auf Minijobbasis. Es ist hervorzuheben, dass alle Kollektivmitglieder den gleichen Stundenlohn bekommen. Lediglich das Vier-Personen-Komitee erhält zusätzlich 1€/Stunde aufgrund der größeren Verantwortung
Wissen teilen, Macht verschieben – Bildung bei Other Nature
Nicht der Verkauf von Produkten, sondern die Bildungsarbeit ist die Essenz von Other Nature. Es gibt Workshops zu Themen wie queerer Sexualität, Kink oder alternativen Beziehungsformen. Um auch Personen mit begrenzten finanziellen Mitteln eine Teilnahme an Workshops zu ermöglichen, werden Solitickets angeboten. Die Workshops tragen nicht nur zur Finanzierung des Ladens bei, sondern auch zur politischen Wirkung: Other Nature versteht sich als Ort der Aufklärung, der Selbstermächtigung, der Begegnung.
Ein Ort, der inspiriert
Der Besuch bei Other Nature hat die Studierenden tief beeindruckt. Nicht, weil dort alles „perfekt“ ist – sondern gerade, weil so offen mit Ambivalenzen, Widersprüchen und Schwierigkeiten umgegangen wird. Weil kollektive Arbeit hier nicht nur ein Ideal ist, sondern täglich gelebte Praxis. Und weil sichtbar wird, wie viel Kraft, Zeit und Reflexion dazugehört, um solidarisch zu arbeiten.
“Die größte Frage, die man sich stellen sollte: Will man das wirklich, wollen das Alle?”
(Lukas): Es ist leicht, Kollektivität zu fordern. Aber sie zu leben, das bedeutet Verantwortung, Kompromisse, Auseinandersetzung. Und manchmal auch das Aushalten von Chaos und Unklarheit. Other Nature zeigt: Eine andere Arbeitswelt ist möglich. Sie ist nicht einfach. Aber sie lohnt sich.
Autorinnen-Info-Box:
Ein gemeinsamer Blogbeitrag von Gina Lindemann, M.A. nachhaltige Unternehmensführung, Alina Jung, M.A. Sustainable Entrepreneurship & Social Innovation und Lena Peteranderl, M.A. Sustainable Entrepreneurship & Social Innovation an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE). Teilnehmerinnen des Moduls: Teampreneurship - Gemeinschaftlich unternehmerisch handeln und wirken im Sommersemester 2025, studiengangübergreifend bei Dr. Marianne Nobelmann
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