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Wir haben es satt 2022

Ein Gastbeitrag von Leonard Ihßen


Auch in diesem Jahr kann die Großdemo „Wir haben es satt!“ (WHES) der Bewegung für eine ökologische Agrarwende nur online stattfinden. Wegen der hohen Coronafallzahlen hat das organisierende Bündnis „Meine Landwirtschaft“ dazu aufgerufen mit einer bildstarken Videoaktion die neue Bundesregierung zum Handeln aufzurufen. Während im letzten Jahr die Aktion des Bündnis „Agrarwende lostreten“ durch 10.000 Fußabdrücke eindrücklich gezeigt hat, dass sich die Bewegung auch durch Corona nicht davon abbringen lässt ihre Forderungen zu artikulieren, wird dieses Jahr ein #Staffellauch stattfinden. Der Einsendeschluss ist der 18.01.22 Die Protestierenden sind hierfür dazu aufgerufen, kurze Filme einzusenden, in denen sie ihre Statements und Aufrufe an die Bundesregierung stellen. Staffellauch heißt das Ganze, weil dabei der Lauch von Redner*in zu Redner*in weitergegeben wird.


Unter den 55 Organisationen im Bündnis ist auch die BUNDjugend. Noura Hamouda, derzeitiges Vorstandsmitglied der BUNDjugend, thematisiert in ihrer Rede vor allem die Rechte von Saisonarbeiter*innen in der Landwirtschaft. Ich treffe sie in einem Café auf eine Tasse Tee und frage nach, was ihr Anliegen bei der diesjährigen Aktion ist.


Noura Hammadou, Vorstandsmitglied der BUNDJugend, Foto Credits: Lea Fraider

Die „Wir haben es satt-Demo“ findet dieses Jahr zum zwölften Mal statt. Ihr von der BUNDjugend seit von Anfang an Teil des Bündnisses, das die Demo organisiert. Was habt ihr als Bündnis bisher erreicht und was ist Eure Arbeit darin?

Wir sind Teil von „Wir haben es satt!“ um jeden Januar zur Grünen Woche die Bewegung für die ökologische Agrarwende zusammenzubringen. Auf den Straßen Berlins können wir, wenn gerade keine Pandemie dazwischen funkt, mit tausenden Menschen, mit Bäuerinnen und Bauern, Menschenrechts- und Tierschutz-organisationen, mit Klima- und Umwelt-aktivist*innen einen Moment schaffen, indem wir unsere Forderungen mit Nachdruck platzieren. Die Vernetzung, die rund um dieses Event stattfindet, ist extrem wichtig, um zusammen stark zu sein. Wir glauben, dass unsere Positionen für eine ökologischere Landwirtschaft, die uns pestizidfrei und mit hohen Tierwohl-standards mit guten Lebensmitteln versorgt, schon viel bewirkt haben. Als BUNDjugend waren wir letztes Jahr Teil von Merkels Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL). Auch da konnten wir zentrale Punkte erstreiten. Ein wichtiger Schritt ist zum Beispiel die Empfehlung der ZKL, den Konsum tierischer Produkte und einhergehend die Produktion deutlich zu reduzieren. Besonders wichtig ist uns aber, uns für die Rechte der Beschäftigten in der Landwirtschaft stark zu machen.


Ihr als BUNDjugend thematisiert bei der diesjährigen WHES – Demo die Arbeitsbedingungen von Saisonarbeiter*innen. Warum?

Eigentlich ist es schade, dass dieses Frage überhaupt gestellt. Gleichzeitig liegt sie es offensichtlich auf der Hand, denn soziale Fragen wurden in unserer Bewegung lange Zeit zu stark vernachlässigt. Häufig ging es den Protestierenden in erster Linie um eine Agrarwende hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft. Nachhaltigkeit wurde hierbei häufig mit „ökologisch“ gleichgesetzt. Wir von der BUNDjugend wollen dieses begrenzte Verständnis von Nachhaltigkeit aufbrechen und sagen: eine Landwirtschaft, die auf der Ausbeutung vor allem von migrantischen Saisonarbeiter*innen beruht, kann nicht nachhaltig sein. So lange unser Spargel, unsere Erdbeeren und unsere Blaubeeren von Menschen geerntet werden, die unter dem gesetzlichen Mindestlohn unter Akkordbedingungen schuften, können wir nicht von Nachhaltigkeit sprechen — egal wie biologisch diese Lebensmittel auch sein mögen.


Das Thema Saisonarbeit wurde im Zuge der Coronapandemie 2020 stark debattiert. Damals hat der Arbeitsminister Hubertus Heil starke Reformen in Bezug auf die Werkverträge der Saisonarbeiter*innen und ein Ende der Ausbeutung angekündigt. Was haben seine Reformen gebracht und was fordert ihr von der neuen Bundesregierung?

Die Debatte 2020 zeigt uns schon den Haken: Das Thema Saisonarbeit kommt ungefähr einmal im Jahr auf den Tisch der breiten Öffentlichkeit - genau zur Saison von Spargel und Erdbeeren. Aber Saisonarbeiter*innen aus Osteuropa stellen ein Drittel aller Beschäftigten in der Landwirtschaft und damit gehören ihre Interessen das ganze Jahr über vertreten. Die Arbeiter*innen aus Polen, Rumänien und Bulgarien sind systemrelevant, das hat die Regierung ihnen 2020 bescheinigt. Sie bekommen aber keinen Applaus und auch keine höheren Löhne dafür. In der Pandemie traten vielmehr ekelhafte nationale Narrative zutage: Hauptsache deutscher Spargel, Hauptsache Schutz der Deutschen in der Pandemie - das Wohl der migrantischen Arbeiter*innen stand dabei immer hinten an. Das Verbot der Werkverträge in der Saisonarbeit der Fleischindustrie ist ein guter Schritt. Aber sicher noch nicht das Ende der Ausbeutung! Wir fordern weiterhin: ordentliche Arbeitsverträge, gute Unterbringung statt schimmliger Matratzen, lückenlose Sozial- und Krankenversicherung, eine effektive Arbeitszeitbegrenzung! Und nicht zuletzt muss weiter in eine breite Regulierung und Kontrolle der Arbeitsvermittler*innen investiert werden.


Wir starten die neue Legislaturperiode mit einem grünen Landwirtschaftsminister, Cem Özdemir. Was erhofft ihr Euch davon?

Die Grünen arbeiten schon seit ihrer Gründung zum Thema Agrarwende. Jetzt, wo sie in Regierungsverantwortung sind, werden wir sehen wie ernst es ihnen wirklich ist. Häufig machen wir die Erfahrung, dass Politiker*innen, sobald sie tatsächlich in Regierungsverantwortung kommen ordentlich an Radikalität einbüßen. Wie glaubwürdig die Grünen sind, wird sich auch an den Erfolgen des Landwirtschaftsministeriums ablesen lassen. Cem Özdemir hat zum Jahresanfang gefordert, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland angehoben werden, um die Wertschätzung für Lebensmittel und das Einkommen der Erzeuger*innen zu erhöhen. Dabei ist eine gesunde und ausgewogene Ernährung für arme Menschen in Deutschland sowieso schon nicht leistbar. Lebensmittel sollen nicht nur kein Luxusgut sein, sondern ein öffentliches Gut - wir brauchen mehr Demokratie in der landwirtschaftlichen Produktion und gutes Essen für alle, ohne Kompromisse und soziale Unterschiede! Dass ist der springende Punkt in der Agrarwende. Wir wollen gerechte Arbeitsbedingungen für Erzeuger*innen, gesunde Lebensmittel und Preise, die nicht nur von der gehobenen Mittelschicht gezahlt werden können.


Hast du eine Aufforderung an die Leser*innen dieses Blogs? Oder anders gefragt, was kann jede*r Einzelne für die Arbeitsrechte von Saisonarbeiter*innen tun?

Unterstützt die Gewerkschaften und unterstützt die Selbstorganisation von Saisonarbeiter*innen! Solange ökologische Bewegungen sich mit individualisierten Lösungen abspeisen lassen, solange wir einzig und allein auf den Konsum von Bio und Fairtrade Produkten bauen statt auf gerechte Felder setzen, lassen wir Raum für alle, die meinen, es bestünde ein Widerspruch zwischen Ökos und konventionellen Bäuer*innen und ihren Beschäftigten. Dabei wissen wir schon lange: die Agrarwende kann nur als Teil einer sozial-ökologischen Transformation glücken und dabei gehören die Interessen aller in der Landwirtschaft Tätigen an erste Stelle. Die Agrarwende wird nicht an den Supermarktkassen umgesetzt. Für gerechte Lebensmittel brauchen wir politisches Handeln. Dafür stehen wir dieses Jahr und solange es notwendig ist ein. Meine ehrliche Empfehlung ist: lasst gut sein mit der gemütlichen Konsumkritik, raus auf die Straße! Lasst uns in Solidarität üben damit unsere Felder wirklich alle satt machen.


Vielen Dank für das Gespräch!


Ihr wollt beim #Staffellauch dabei sein? Eine Anleitung und Beispielvideos gibt´s hier . Noch bis zum 18.01. könnt ihr eure Videos einsenden.


Und auch sonst gibt´s total viel Spannendes rund um die WHES die nächsten Tage, hier könnt ihr euch über die diversen Online-Veranstaltungen wie Alternative Grüne Woche, Soup & Talk oder Schnippeldisko informieren.


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