top of page

Zeit für Forschung mit Jens Pape

Aktualisiert: 27. März 2023

Forschungsprofessuren sind ein Förderinstrument, um Professor*innen die Möglichkeit zu geben für eine bestimmte Zeit, meist 3 oder 4 Jahre, ihren Fokus noch stärker auf die Forschung zu legen. An der HNEE gibt es seit kurzem auch Forschungsprofessuren, die den Schwerpunkt auf Transfer legen und zweieinhalb Jahre andauern.


Wie funktioniert´s? Während einer Forschungsprofessur wird das Lehrdeputat reduziert (50% bzw. 40% bei Transferprofessuren). Im Rahmen der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses übernimmt ein*e akademische Mitarbeiter*in diesen Teil der Lehre und unterstützt so die Forschungsprofessur (an unserem Fachbereich sind dies z.Zt. Dr. Stefanie Albrecht, Niklas Domke, Dr. Hilke Risius, Corinna Schulz und Nils Zahn).


Fünf dieser elf Forschungsprofessuren an der HNEE sind derzeit am Fachbereich Landschaftsnutzung und Naturschutz angesiedelt. Über unsere fünf Forschungsprofessor*innen und die Themen an denen diese derzeit arbeiten, berichten wir in unserer Rubrik „Zeit für Forschung mit ...“ und sprechen dieses Mal mit Prof. Dr. Jens Pape.


In den beiden Projekten "Unverpackt 2.0" und "Verpackung ist mehr(-)wert" forscht Prof. Dr. Jens Pape an der Verpackungsreduktion im Lebensmitteleinzelhandel. Er entwickelt zum Beispiel Beschaffungsstandards für Unverpacktläden und vernetzt Akteur*innen in Brandenburg zur Verpackungsreduktion.

Jens Pape (Foto: Privat)

Seit wann sind Sie Forschungsprofessor und wie kam es dazu?

Seit 2016 beschäftigen wir uns in einer Arbeitsgruppe an meinem Fachgebiet „Nachhaltige Unternehmensführung in der Agrar- und Ernährungswirtschaft“ – in der mittlerweile fünf wissenschaftliche Mitarbeiter*innen (Paula Wörteler, Michaela Hilger, Sara Rudel, Marcel Schuricht, Niklas Domke) und ich tätig sind – mit dem Thema Verpackungsreduktion im Lebensmitteleinzelhandel (Logo siehe Foto unten). Zunächst im BÖLN-Projekt „Der verpackungsfreie Supermarkt. Stand und Perspektiven? Über die Chancen und Grenzen des Precycling im Lebensmitteleinzelhandel“ (ackerdemiker.in berichtete hier) und seit zwei Jahren in zwei weiteren Projekten, dem DBU-Projekt "Unverpackt 2.0 - Standards zur Professionalisierung der verpackungsreduzierten, effizienten und nachhaltigen Warenversorgung in Wertschöpfungsketten des unverpackt-Handels" und dem MLUK-Projekt "Verpackung ist mehr(-)wert".

Die drei Projekte mit einem Projektvolumen in Summe von rund 1 Mio. Euro waren und sind vom Ansatz her von und mit der Praxis entwickelt und beantragt. Die Analyse und Lösung praxisrelevanter Herausforderungen stehen im Mittelpunkt; die Projekte sind somit transferorientiert.

Da passte es ausgesprochen gut, dass unsere Hochschule im Frühjahr 2021 drei Forschungsprofessuren mit dem Schwerpunkt Transfer ausgeschrieben hatte. Da habe ich mich beworben – und es hat geklappt! Ich freue mich, dass ich – neben Prof. Dr. Inga Schleip (hier im Interview) und Prof. Dr. Alexander Conrad – nach zehn Jahren als Dekan des Fachbereichs Landschaftsnutzung und Naturschutz den Zuschlag für eine Forschungsprofessur mit Schwerpunkt Transfer erhalten habe. Nun kann ich bis zum Sommersemester 2024 zusammen mit meinem Team verstärkt im Bereich Forschung und Transfer tätig sein kann.

Logo AG Verpackungsreduktion (Foto: AG Verpackungsreduktion)

An welchen Forschungsfragen können Sie zusammen mit Ihrem Team dank Ihrer Forschungsprofessur derzeit arbeiten?

Im DBU Projekt „Unverpackt 2.0“ entwickeln wir zusammen mit den Akteur*innen verschiedener Wertschöpfungsketten Standards zur Professionalisierung und Verbesserung der Beschaffung von Unverpackt-Läden. Ziel des Projekts ist es, Standards für die nachhaltige und effiziente Warenversorgung von Unverpacktläden zu erarbeiten und so aus den vielfältigen Insellösungen tragfähige Systemlösungen – etwa in den Bereichen Transport- und Mehrwegsysteme, Reinigungsroutinen und Warenwirtschaftssysteme – zu schaffen. Zudem wird ein gemeinsames Verständnis von Unverpackt entwickelt und für alle an der Wertschöpfung Beteiligten klar definiert. Das ist gerade bei der Entwicklung von Standards zentral.

Im MLUK-Projekt haben wir zunächst eine Beratungs- und Vernetzungsstelle zur Verpackungsreduktion in Brandenburg (BVVB) etabliert: Verpackungen erfüllen im Lebensmittelhandel vielfältige Funktionen. Dazu gehören z.B. Schutz und Hygiene, die Reduktion von Lebensmittelabfällen sowie Logistik und Kommunikation (Inhaltstoffe, MHD …). Mehrwegverpackungen sind in vielen Nutzungsszenarien nachhaltiger als ihre Einwegalternativen. Die BVVB ist zentrale Anlaufstelle zum Thema Verpackungsreduktion in Brandenburg und entwickelt gemeinsam mit diversen Akteur*innen regionale Handlungsansätze zur Förderung von Mehrweg- und ReUse-Lösungen im Lebensmittelbereich, etwa im Lebensmitteleinzelhandel, in der Außer-Haus-Verpflegung oder bei der Etablierung und Vernetzung hinsichtlich des Aufbaus einer Spülinfrastruktur für Mehrweglösungen. Hier arbeiten wir z.B. mit sozialen Einrichtungen und Träger*innen im Land zusammen, die Ihre Einrichtungen bzw. Wohngemeinschaften mit vorgekochtem Essen versorgen oder bei „Essen auf Rädern“ derzeit noch mit Einweg-Produkten arbeiten; da kommen täglich gerne mal tausende von Alu-Assietten (Menüschalen) oder Kunststoffschläuche zusammen.


Mehrweglösung (Foto: Shutterstock Monkey Business Images)

Was möchten Sie am Ende Ihrer Forschungsprofessur erreicht haben?

Das Ende der Forschungsprofessur fällt mit dem Abschluss der beiden genannten Forschungsprojekte zusammen. Ziel ist es, die angesprochenen Prozess- und Branchenstandards etwa in Form einer DINspec (Standarddokument, das unter Leitung von DIN, Deutsches Institut für Normung e.V., erarbeitet wird) zu finalisieren und mit der BVVB möglichst viele regionale Handlungsansätze zur Förderung von Mehrweg- und ReUse-Lösungen im Lebensmittelbereich entwickelt und umgesetzt zu haben. D.h. konkrete „Produkte“ zu schaffen, wie die DINspec oder z.B. den Leitfaden für Supermärkte: Wir (die BVVB) haben zusammen mit der Klimaschutzoffensive des Handelsverbands Deutschland e.V. (HDE) und in Kooperation mit dem Mehrwegverband den Leitfaden „Mehrweg statt mehr Müll – wie der Lebensmittelhandel Einwegverpackungen vermeiden kann“ erarbeitet, der hier erschienen ist. Der Leitfaden beleuchtet die Nachhaltigkeitsaspekte von Mehrweglösungen, gesetzliche Rahmenbedingungen wie die neue Mehrwegangebotspflicht, Hygieneanforderungen sowie praktikable und erprobte Maßnahmen zur Mehrwegförderung und Verpackungsreduktion in den verschiedenen Anwendungsbereichen im LEH. Den Filialist*innen werden verschiedene Mehrweglösungen vorgestellt und gleichzeitig Tipps an die Hand gegeben, wie sie die Nutzung dieser im Sinne der Akzeptanz für die Konsument*innen möglichst einfach gestalten können.

Das sind nur zwei Beispiele für transfer- und praxisorientierte Aufbereitung unserer Forschungsergebnisse und es kommen in den nächsten zwei Jahren sicher noch mehr dazu …


Uns interessiert ja auch das Themenfeld Transfer und die Frage, wie der Austausch mit anderen Akteurinnen Bestandteil Ihrer Forschung ist: Wie gestalten Sie das bei Ihnen?

Unsere Projekte machen den intensiven Austausch mit der Praxis, den Akteur*innen der Wertschöpfungsketten aber auch den Ansprechpartner*innen in NGOs, den Verbänden (z.B. Unverpackt- oder Mehrwergverband), mit den Kammern (IHK, HWK) oder der Verwaltung (Behörden und Ministerien) notwendig, um nur einige wenige zu nennen. Formate wie Workshops, Runde Tische und Gremienarbeit sind daher fester Bestandteil in unserem Tagesgeschäft.

Der Praxistransfer findet so unmittelbar im Rahmen des laufenden Forschungsprozesses statt, aber auch auf „klassischen“ Wegen, wie auf Tagungen (z.B. hier) oder durch die Gestaltung von Fachforen auf der BioFach, der Weltleitmesse für Bioprodukte. Von der BioFach 2022 berichtete Niklas Domke hier.


Wir haben auch über das Format Podcast unsere Ergebnisse in die Welt hinausgetragen: Den ersten Podcast haben Dr. Melanie Kröger und ich bei der "Klimaschutzoffensive des Handels" des Handelsverband Deutschland e.V. – zum Thema "Einfach weglassen? Zur Verpackungsreduktion im Lebensmittelhandel" gestaltet und im zweiten Podcast haben Torsten Pelikan (Globus Naturkost GmbH) und ich bei FluxFM im Podcast "Barnim For Future" zum Thema "Wo bleibt der verpackungsfreie Supermarkt?" gesprochen.

Daneben publizieren wir aus der Arbeitsgruppe heraus: Neben wissenschaftlichen Veröffentlichungen spielen hier natürlich auch Transferpublikationen eine wichtige Rolle, wie etwa das im OEKOM-Verlag von Melanie Kröger, Alexandra Wittwer und mir herausgegebene Buch „Einfach weglassen? Ein wissenschaftliches Lesebuch zur Reduktion von Plastikverpackungen im Lebensmittelhandel“ – ein als „Lesebuch“ konzipierter Sammelband mit vielen spannenden, wissenschaftlich fundierten Texten rund um das Thema Plastik und Verpackung.

Cover "Einfach weglassen" (Foto: Jens Pape)

Wenn wir mal inhaltlich in ihre Forschung eintauchen, was sind da besondere Erkenntnisse, die Sie bereits hervorgebracht haben? Welche lessons learned haben Sie für unsere Leser*innen?

Seit einigen Jahren werden das hohe und stetig steigende Verpackungsaufkommen und die damit einhergehenden Umweltprobleme in Deutschland berechtigterweise zunehmend kritisch diskutiert. Aktuell fallen bundesweit fast 19 Millionen Tonnen Verpackungsabfall an (Spitzenreiter im EU-Vergleich), das sind fast 228 kg pro Kopf und Jahr – deutlich mehr als der EU-Durchschnitt von rund 178 kg. Nur etwas weniger als die Hälfte davon entfällt auf Privathaushalte, der Rest entsteht auf dem Herstellungs- und Lieferweg der Produkte zu Endkunden und ist damit für Verbraucher*innen oftmals „unsichtbar“. Von den 12,1 Mio. Tonnen Kunststoffe, die 2019 in Deutschland verbraucht wurden, entfielen 3,2 Mio. Tonnen (27 %) auf Verpackungen und andere Einwegprodukte. (Burger et al. 2019)

Dabei wird das Abfallaufkommen im Lebensmittelbereich durch eine Vielzahl von Akteur*innen beeinflusst: Von Kund*innen aufgrund bestimmter Vorstellungen und Produktwünschen, von Zuliefer*innen aufgrund der Ausgestaltung ihrer Angebotspalette, vom produzierenden Gewerbe aufgrund etablierter Produktionslinien, Kostenerwägungen oder Auflagen. Abfallvermeidungspotenziale können zum Teil aber auch deshalb nicht voll ausgeschöpft werden, weil die unterschiedlichen Akteur*innen einer Warenkette nicht ausreichend über die Bedürfnisse, Rahmenbedingungen und Herausforderungen der jeweils folgenden Schnittstelle informiert sind – hier knüpfen wir in unseren Projekten an.

Und: Das Ändern von Routinen ist äußerst voraussetzungsreich und das Treffen der „richtigen“ Entscheidung nicht immer einfach: Mehrweg ist oft die nachhaltigere Lösung, aber auch nicht immer. Vermeintlich umweltfreundlichere Verpackungsalternativen (z.B. Biokunststoffe) sind dies bei genauerer, ökobilanzieller Betrachtung ggf. nicht und vermeintlich verbesserte bzw. „schärfere“ gesetzliche Rahmenbedingungen, wie z.B. das Verbot von Plastiktüten oder die seit diesem Jahr geltende Mehwegangebotspflicht, erweisen sich bei genauer Betrachtung bestenfalls als erster Schritt in die richtige Richtung. Hier Transparenz und entscheidungsunterstützende Informationen zu liefern ist Teil unserer Arbeit.


Für Interessierte gibt es hier einen Blogbeitrag zur Mehrwegangebotspflicht.

bottom of page