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Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement als „Must-have“ – Jens Pape im Interview

Aktualisiert: 25. März 2022

Am siebten März ist die zweite Auflage des Buches „Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement“ erschienen. Das Lehrbuch wird fachübergreifend an diversen Hochschulen verwendet. Nicht unmöglich also, dass auch du es früher oder später in der Hand halten wirst. Denn ein Studium ohne Bücher ist wie ein Studium ohne Präsenzvorlesungen: es fehlt der Tiefgang.


Mit Prof. Dr. Jens Pape, Mitherausgeber und Mitautor des Buches haben wir über die Entwicklungen des Nachhaltigkeitsmanagements gesprochen, über den Status Quo an unserer Hochschule und darüber, wie betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement funktioniert.

Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement Buchcover & Portrait Jens Pape (Fotos: Jens Pape)


Guten Tag Herr Pape,

welche Note würden Sie unserer Hochschule für ihr Nachhaltigkeitsmanagement geben?

(lacht und überlegt) Vielleicht eine Zwei. Nachhaltigkeitsmanagement fordert einen „kontinuierlichen Verbesserungsprozess“ ein - und muss sich ständig weiterentwickeln. An der HNEE leben wir das Thema Nachhaltigkeit schon sehr facettenreich. Früh wurde z.B. ein Umweltmanagementsystem nach der europäischen EMAS-Verordnung (europäisches Gemeinschaftssystem für Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung) eingerichtet. Dafür wurde die Hochschule auch schon zweimal mit dem EMAS-Award ausgezeichnet. Wir sind also schon sehr aktiv und erfolgreich im „betrieblichen Umweltmanagement“. Ich denke aber auch: Es gibt noch Luft nach oben. Wir sind – etwa im Rahmen der regelmäßigen Online-Befragung – immer noch sehr stark auf dieser ökologischen Schiene unterwegs: Trennen wir den Müll richtig? Hat jeder in seinem Büro eine abschaltbare Steckerleiste? Das ist so ein bisschen betrieblicher Umweltschutz aus den 80er Jahren. Spannend wäre, wie die einzelnen Hochschulbereiche stärker integriert werden können: Welche Ziele setzen sich die einzelnen Fachbereiche in unterschiedlichen Nachhaltigkeitsthemen? Was möchte die Verwaltung bis zur nächsten Auditierung erreichen? Kennen alle Mitarbeiter*innen die Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik? Was ist mit anderen Ansätzen und Bewertungsinstrumenten? Andere Hochschulen haben z.B. bereits eine/n Gemeinwohlbilanz und -bericht erstellt.


Da geht also noch mehr beim Nachhaltigkeitsmanagement?

Das Thema entwickelt sich dynamisch weiter. Gerade passiert an unserer Hochschule sehr viel auf freiwilliger Basis, zum Beispiel im Rahmen des "Runden Tisches". Das funktioniert, weil ein großes Engagement von Dozierenden, Studierenden und Verwaltungsfachkräften ausgeht, so ticken wir hier eben. Allerdings könnten wir - wie eingangs dargestellt - das Nachhaltigkeitsmanagement m.E. noch mehr mit der Organisationsstruktur, den Funktionsbereichen verknüpfen und prozessual stärker einbinden. Zum Beispiel, indem mensch jeden einzelnen Studiengang und Fachbereich in die Frage mit einbezieht, wo er sich im Nachhaltigkeitsbereich kontinuierlich verbessern will, wo konkret Ressourcen eingespart werden können, welche konkreten Ziele er sich bis wann setzt ...


Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement - Was versteht mensch denn genau darunter?

Ich denke, ausgehend von einer belastbaren Nachhaltigkeitsstrategie ein Managementsystem, d.h. eine Aufbau- und Ablauforganisation, Prozesse und Controllinginstrumente zu implementieren, die helfen und unterstützen, die Nachhaltigkeitsleistung kontinuierlich zu messen, zu steuern und schlussendlich zu verbessern und dazu auch in einen aktiven Austausch mit internen und externen Stakeholdern zu kommen. Im Rahmen des Nachhaltigkeitsmanagements wird es auch immer wichtiger neben dem „eigenen Standort“ und den eigenen Wertschöpfungsketten z.B. den Handlungsspielraum über strategische Allianzen zu erweitern, mit anderen Akteuren das Thema voranzutreiben (das macht die Hochschule z.B. über das „HOCH N“-Projekt). Insofern ist Nachhaltigkeitsmanagement auch eine wichtige Basis, um als Organisation oder Unternehmen transformatorisch wirksam zu werden: Als „Change Agent“ vorzumachen, dass es auch anders geht, Wertschöpfungsketten neu zu gestalten, den Mainstream und politische Entscheidungen mit zu beeinflussen …


Ihr Buch „betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement“ schlüsselt die einzelnen Bereiche des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements für die Lehre auf?

Das Buch lässt sich gut in der Lehre einsetzten, weil die einzelnen Themen zum Nachhaltigkeitsmanagement in ihrer Bandbreite aufgerufen und die Themen trotzdem kompakt dargestellt werden, mit Praxisbeispielen und weiterführender Literatur. Dazu gibt es Übungen und Tools. Ziel des Buches ist es, das Thema betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement in der Lehre zu platzieren und zwar in unterschiedlichsten Studiengängen. Bei uns an der HNEE findet das Buch Anwendung in dem berufsbegleitenden Master „Strategisches Nachhaltigkeitsmanagement“ aber auch im neuen Master „Ökologische Landwirtschaft und Ernährungssysteme“. Das Buch wird seit über 20 Jahren (ab 2001 in vier Auflagen unter dem Titel „Betriebliches Umweltmanagement“, seit 2013 als UTB-Lehrbuch „Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement“) auch an anderen Hochschulen eingesetzt - in den unterschiedlichsten Disziplinen. Außerdem haben wir Rückmeldungen aus der Praxis, wo dieses Buch auch zum Einsatz kommt.


Was ist der erste Schritt, wenn mensch eine Hochschule oder ein Unternehmen nachhaltiger ausrichten will?

Es werden immer zwei Ebenen betrachtet: die Produktebene und die betriebliche Ebene. Dabei müssen Umsetzungsmöglichkeiten der Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz geprüft werden. Effizienz bedeutet, es wird versucht, z.B. bei der Produktherstellung möglichst Ressourcen zu sparen. Suffizienz bedeutet, dass z.B. Produkte hoher Qualität entwickelt werden oder solche, die repariert werden können – oder es werden Geschäftsmodelle entwickelt, bei denen die Produkte geliehen werden können und nicht von jedem/jeder Einzelnen gekauft werden müssen. Und Konsistenz beschreibt, dass z.B. Produkte aus regionalen Rohstoffen hergestellt und Stoffkreisläufe geschlossen werden (z.B. „Cradle-to-Cradle“).

Auf der betrieblichen Ebene wird überlegt, wie Prozesse vor Ort, am Produktionsstandort (oder an der Hochschule) aber auch in der Wertschöpfungskette nachhaltiger gestaltet werden kann. Die Entwicklungen einer Nachhaltigkeitsstrategie auf Produkt- und Betriebs-Ebene ist also eine zentrale Fragestellung des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements. Dabei fokussierte betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement lange auf die Effizienzstrategie – nachhaltig wirtschaften oder transformatorisch wirksam werden können Unternehmen aber nur, wenn alle drei Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konstistenz und Suffizienz kombiniert werden.


Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement gibt also auf mehr Acht, als nur die Produktion vor Ort …

Ja, das hat sich geändert. Früher stand da wirklich der (Produktions-) Standort im Zentrum. Heute rücken immer mehr die „indirekten Aspekte“ in den Fokus, was passiert eigentlich vor und nach der Produktion an meinem Standort, und was im Produktlebenszyklus? Was passiert in der gesamten Wertschöpfungskette unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten? Und da wird es dann ganz schnell branchenspezifisch: Wie sind z.B. die Arbeitsbedingungen in textilen Wertschöpfungsketten? Woher kommen die Rohstoffe, seltene Erden in der Elektro- oder Automobilbranche? Woher kommen Futtermittel oder wie sind die Arbeitsbedingungen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft?


Nach dem ersten Schritt, wie geht es weiter, nach der Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien für die Produkt- und betriebliche Ebene?

Dann wird ein Managementsystem (s. oben) aufgebaut. Nach einem gewissen Zeitablauf wird die Erreichung der gesetzten Ziele überprüft, d.h. die Nachhaltigkeitsstrategien und die Funktionsweise des Managementsystems. Wurde z.B. ein Ziel nicht erreicht, werden die Gründe dafür analysiert und es muss nachgesteuert werden. Dann geht der Prozess wieder von vorne los. Nachhaltigkeitsmanagement ist quasi ein Kreislauf – mit dem Ziel der kontinuierlichen Verbesserung. Am Ende des Prozesses kann auch eine Zertifizierung stehen (z.B. EMAS). Idealerweise gibt es auch eine belastbare Berichterstattung dazu.


Das Buch ist jetzt die zweite Auflage bzw. die „6. Auflage“, wenn der Vorläufer „Betriebliches Umweltmanagement“ mit betrachtet wird. Es gibt viele Erneuerung in dem Bereich betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement …

Ja, auf jeden Fall. Seien es die SDGs oder das Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Auch im Bereich der Berichterstattung oder der Tools zur Messung und Steuerung von Nachhaltigkeitsmanagement tut sich viel und die Ansätze entwickeln sich dynamisch.


Bei den vielen Bereichen ist betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement heutzutage für Organisationen und Unternehmen ein „Must-have“?

Es besteht auf jeden Fall ein zunehmender Druck von Seiten der Gesellschaft. Aber auch rechtliche Rahmensetzungen führen verstärkt dazu, dass sich Unternehmen strukturiert mit dem Management von Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzen (z.B. CSR-Richtlinie, d.h. die Verpflichtung zur Berichterstattung im nicht-finanziellen Bereich oder im Vergaberecht oder beim Themenfeld Energie- und Klimaschutzmanagement). Gerade für Unternehmen mit direktem Kundenkontakt, beispielsweise innerhalb der Ernährungsbranche, ist betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement mittlerweile eigentlich ein „Must-have“. Oder auch verstärkt in der Textilbranche und Autoindustrie, die in einer von der Öffentlichkeit kritisch beobachteten Wertschöpfungskette aktiv sind. Und ich denke, Unternehmen, die Nachhaltigkeit nur für die Marketingschiene nutzen, fliegen immer mehr damit auf.


Das heißt Nachhaltigkeit und Gewinn sind heutzutage auch keine konfligierenden Ziele mehr?

Klar ist es so, dass die Implementierung eines Nachhaltigkeitsmanagementsystems erst einmal Kosten verursacht, aber je mehr ich meine Stoff- und Energieflüsse betrachte, desto eher kann ich diese auch effizienter gestalten und Einsparungen vornehmen. Je genauer ich Nachhaltigkeitsthemen im Blick habe, desto auskunftsfähiger wird das Unternehmen, das spart dann irgendwann zeitliche und personelle Ressourcen – auch Reputationsrisiken werden reduziert. Es gibt Branchen, die sagen heutzutage: Alle meine Zulieferer sollen ein Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitsmanagement haben. Das ist zwar ein Kriterium unter vielen, wird aber in Lieferantenbeziehungen immer wichtiger. Und dann mache ich das als Zulieferer, ob ich das nun gut finde oder nicht ...


An dem Buch haben ja sehr viele Autor*innen mitgewirkt…

Historisch gesehen stammen die Autor*innen aus dem Doktoranden-Netzwerk Nachhaltiges Wirtschaften e.V. Inzwischen sind viele Autor*innen aus Praxis und Wissenschaft und unterschiedlichen Disziplinen dazu gekommen.


Ist die Vielfalt der Autorenauswahl eine Stärke des Buches, durch die es sich von anderen Werken vergleichbarer Thematik absetzt?

Ja, vergleichbare Bücher sind z.B. von Betriebswirt*innen aus deren (Management-) Perspektive geschrieben. Unser Buch hat den Mehrwert, dass es aus unterschiedlichen Disziplinen bespielt wird. Neben Betriebswirt*innen, sind auch Agrarwirtschaftler*innen, Landschaftsplaner*innen und viele andere dabei – und genauso vielfältig sind auch die Anwendungsbeispiele.


Das Buch schließt mit einem Ausblick. Dort heißt es: Ein Teil der neuen Generation hat Notwendigkeiten einer nachhaltigen Entwicklung erkannt- das stimmte optimistisch. Wir optimistisch sehen Sie in die Zukunft?

Ich sehe sie vorsichtig optimistisch. In den letzten Jahren werden die Zeitabschnitte, in denen Anforderungen hochgeschraubt werden immer kürzer - ich hatte das Beispiel CSR-Richtlinie genannt, oder auch im Vergaberecht, bei den Berichtspflichten oder im Energie- und Klimaschutzmanagement und nicht zuletzt auch beim Thema Transparenz von Wertschöpfungsketten …. Je vielfältiger die Themen werden, zu denen Unternehmen auskunftsfähig sein müssen, desto mehr fördert dies, einen Prozess zu etablieren und jenen strukturiert anzugehen: Etwa durch die Implementierung eines betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements.

Der andere Punkt ist, dass die nachhaltige Entwicklung zunehmend auch für viele Berufseinsteiger*innen ein Kriterium dafür ist, in ein Unternehmen einzusteigen. Unternehmen gelten dann als attraktiver, wenn sie verantwortungsbewusst, ethisch und nachhaltig handeln sowie eine Nachhaltigkeitsstrategie haben und ein Nachhaltigkeitsmanagement betreiben. Im Wettbewerb um Fachkräfte wird das Thema also auch für viele Organisationen und Unternehmen zukünftig immer wichtiger …


Nun sind sie ja Dozierender in Lehrveranstaltungen, Projektleiter, waren zuletzt zehn Jahre Dekan, sind im Bundesvorstand der Deutschen Umwelthilfe und in anderen Beiräten aktiv, halten Vorträge … - Wo kommt die Energie her, da nebenbei noch Bücher herauszugeben und zu schreiben?

(lacht) Ja, gute Frage. Die kommt wohl aus der Motivation für das Thema, das mich schon seit meiner Diplomarbeit begleitet und weil es macht Spaß, mit tollen motivierten Leuten aus Wissenschaft und Praxis zusammenzuarbeiten und das nun schon über so viele Jahre. Natürlich kostet es auch viel Kraft so etwas nebenher zu machen. Aber am Ende ist es eben auch sehr schön, das Buch dann auf dem Tisch liegen zu haben und viel positive Resonanz zu bekommen.


Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pape.



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