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Kulturgeschichtliche Ostalgie // Willkommen in Lunow

Aktualisiert: 2. Juli 2019


photo credits go to Annemarie Wilitzki

Fährt man östlich von Eberswalde, erstreckt sich vor der polnischen Grenze ein naturschutzfachlich sowie kulturell als auch touristisch spannendes Gebiet. Nicht ohne Grund ist diese Region ein beliebtes Ziel vieler HNEE Exkursionen – das Oderbruch. Diesmal waren wir allerdings nicht auf naturschutzfachlicher Mission, sondern besuchten die baukulturell interessante Ortschaft Lunow-Stolzenhagen. Ein bezauberndes Dörfchen nördlich des Oderbruchs. Im Rahmen des Kurses „Kulturlandschaft“ unter der Leitung von Prof. Dr. Jürgen Peters, welches in diesem Semester von seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen Maren Pretzsch und Annemarie Wilitzki (auch eine RuN Alumna) begleitet wird, haben RuNer*innen im zweiten Semester die Möglichkeit, sich die baukulturellen Besonderheiten einer ausgewählten Region anzuschauen.


Ein Bilderbuch RuNer

Nach einer knapp 90-minütigen Anreise empfängt Volker Tubandt, er hat ÖLV studiert und ist Absolvent mit einer RuN-Karriere, wie sie im Buche steht uns sechs Mädels (die Männer sind aus unbekannten Gründen im Studiengang immer etwas unterrepräsentiert - woran das nur liegt?). Er wuchs in der Nähe des Dorfes auf und hat mittlerweile das Haus seiner Großeltern in Lunow bezogen. Seit Jahren engagiert er sich im Heimatverein und hat sich jüngst als Kandidat für das Amt des Ortsvorstehers aufstellen lassen. Zwar wurde er dieses Jahr nicht gewählt - aber was nicht ist, kann ja noch werden. Volker Tubandt ist die Entwicklung seines Dorfes wichtig. Er vermittelt und knüpft Kontakte zwischen Alteingesessenen und zugezogenen Einwohner*innen und engagiert sich z.B. dafür, dass Lunow wieder eine Grundschule bekommt. Beim Landkreis Barnim mit Sitz in Eberswalde fand er eine Anstellung als Mitarbeiter im Sachgebiet Strukturentwicklung.


Eigenarten erkunden

Als allererstes stellte er uns eine Aufgabe: Wir sollten in der Hauptstraße nach baukulturellen und regionaltypischen Auffälligkeiten Ausschau halten. Herausforderung angenommen! Nachdem wir eine einwöchige, intensive Blockveranstaltung über unsere Kulturlandschaft hinter uns hatten, konnte das nun geschulte Auge, seinen Expert*innenenblick schweifen lassen. Das Dorf Lunow verfügt über Straßenschilder in einer uns unbekannten Sprache (dazu gleich mehr), relativ breite Abstände zwischen der Straße und Häusern, in denen bunte und schmucklose Vorgärten sich aneinander reihen, sowie Hauseingänge, die zum Eintreten meistens auf der Vorderseite in Richtung Straße einladen. Sogar einen Supermarkt besitzt das für brandenburgische Verhältnisse recht große Dorf mit ca. 1.200 Einwohner*innen. Das ist nicht die Regel in einer ländlichen Region. Im Schatten einer 150 Jahre alten Eiche und eines 1. Weltkriegsdenkmal las uns Herr Tubandt eine Geschichte in einer fremd klingenden Sprache, dem Lunowplatt, vor. Diese ist fast ausgestorben und ähnelt dem mecklenburgischen Platt sehr. Heutzutage versuchen Einheimische wieder den Lunower Kindergartenkindern die Sprache beizubringen. Kultur will schließlich erhalten bleiben.


Brandenburger Tabakscheunen

Nach dem kleinen Exkurs wird der Ort weiter erkundet. Häuser und Gärten verfügen über viel Charme und Geschichte. Neben der eigenen Sprache hat Lunow noch eine Einzigartigkeit vorzuweisen: Seine vielen, aus dunklen, langen Brettern erbauten Tabakscheunen. Tabak wächst nämlich auch in unseren Breitengraden. Bis zur Wende kultivierten zahlreiche Familien Tabakpflanzen, um sich neben der Arbeit in einer Genossenschaft oder ähnlichem etwas dazu zu verdienen. Nach der Ernte mussten die Pflanzen eine ganze Zeit trocknen. Die meisten Lunower Tabakscheunen sind dazu sehr hoch gebaut und verfügen über diverse Lüftungsmöglichkeiten, damit der Tabak nach der Ernte schnell trocknete. Heute jedoch wird diese Pflanze nicht mehr angebaut und die Scheunen haben andere Funktionen, verfallen oder wurden abgerissen. Im Bild seht ihr ein eingestürztes Modell.


Nach einer Weile gelangten wir zur Kirche, in der gerade die Frau des Pfarrers für ein Orgelkonzert probte. Mit musikalischer Begleitung wagten wir einen Blick auf „die mahnende Hand“ hinter dem Altar, die in einer Vitrine der Kirche ausgestellt war. Es handelt sich um die mumifizierte Hand eines ehemaligen Lunower Bürgers, der die Niedertracht besaß, seinen Vater zu schlagen. Daraufhin starb er. Der Legende nach stieß die Hand lange nach seiner Beerdigung aus dem Grab hervor und reckte sich gen Himmel. Der Lunower konnte wohl keine Ruhe finden. Gruselig. Die Bevölkerung nahm dies prompt als Anlass, mit seiner Hand ein Mahnmal zu errichten, was alle daran erinnern sollte, seine Eltern immer zu achten.


In allen vier Ecken muss Liebe drin stecken

Nach dieser Begegnung konnte uns ein Besuch bei Pfarrer Thomas Berg und dessen Dreiseitenhof den erlebten Schrecken etwas nehmen. Bei einem Dreiseitenhof handelt es sich um eine typisch brandenburgische Bauernhofanlage, welche sich aus Wohnhaus entlang der Straße, Wirtschafts- bzw. Stallgebäuden und einem Bauerngarten zusammensetzt. Der Pfarrer berichtete uns von der Geschichte seines aus dem 17. Jahrhundert stammenden, nun weitestgehend originalgetreu restaurierten Fachwerkhauses. Im Wohnhaus sind die Zimmer kleiner als erwartet, aber die rustikalen Lehmwände und der Ziegelboden ließen ihren Charme spielen. Der beeindruckende Bauerngarten wird von der Frau des Pfarrers gepflegt. Vor der neu errichteten Feldsteinmauer neben dem Pfarrhaus ließen wir es uns nicht nehmen, ein Foto mit zahlreich blühenden Lupinen im Hintergrund zu schießen.


Angemessener Ausklang

Ausklingen ließen wir die Exkursion ein paar Meter weiter im Café Goldrand. Namensgeber des Cafés ist gutes Porzellangeschirr, natürlich mit Goldrand. Ehrenamtliche Lunower*innen verkaufen hier selbst gebackenen Kuchen, Bioeis und die ein oder andere lokale Spezialität, wie Auerochsenleberwurst und -würstchen. Nun gut, als Studierende vom Fachbereich LaNu weiß man, dass die Auerochsen im 17. Jh. ausgestorben sind. Jedoch wurde in der Nähe von Lunow eine Rinderart „zurückgezüchtet“, die dem Auerochsen im Aussehen und Robustheit sehr ähnelt - das Heckrind.

Eiscreme schleckend oder Marmor(kuchen)blumen essend, erzählte uns Herrn Tubandt von seinen nächsten Projekten und wie er sein erlangtes Wissen aus dem RuN-Studium in die Dorfentwicklung einbringt. Danach ging es schön ökologisch mit Bus und Regionalbahn zurück Richtung Eberswalde. Ein wirklich schöner Ausflug, der mehr Lust auf dieses Modul auslöste.

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