Lernen zwischen Bäumen und Äckern – Agroforstwirtschaft als Wahlpflichtmodul
- Aimée Abitz
- 17. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Die Landwirtschaft steht vor enormen Herausforderungen: Klimawandel, Bodendegradation und hoher wirtschaftlicher Druck erfordern innovative Lösungsansätze. Ein vielversprechender Ansatz ist die Agroforstwirtschaft, bei der Bäume gezielt in landwirtschaftliche Flächen integriert werden. Dadurch wird nicht nur die ökologische Stabilität gestärkt, sondern auch wirtschaftliche Vorteile für landwirtschaftliche Betriebe geschaffen. Die Bäume erfüllen dabei vielfältige Funktionen: Sie dienen als Wertholzquelle, liefern Produkte wie Nüsse oder Obst und leisten gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zum Ökosystem. Sie bieten Windschutz, verbessern die Bodenstruktur durch ihre Wurzeln, speichern Wasser, fördern die Biodiversität und schaffen wertvolle Lebensräume für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten.
Doch wie wird Agroforstwirtschaft in der Praxis umgesetzt? Welche Vorteile bietet sie? Und inwiefern trägt unsere Hochschule zur landwirtschaftlichen Transformation bei? Antworten auf diese Fragen können Studierende in den Wahlpflichtmodulen Agroforstwirtschaft und der SummerSchool “Agroforst und regenerative Agrikultur” erhalten. Über die SummerSchool haben wir auf dem Blog schon oft berichtet. Heute ist es an der Zeit, einen kleinen Erfahrungsbericht über das Wahlpflichtmodul “Agroforstwirtschaft” zu geben. Zudem werden in dem Artikel brandenburgische Agroforst-Pionierprojekte vorgestellt.

Ein interdisziplinäres und praxisnahes Modul
Das Modul zieht Studierende aus verschiedenen Fachrichtungen an, u.a. aus Landschaftsnutzung und Naturschutz, Forstwirtschaft oder Ökolandbau und Vermarktung. Die interdisziplinäre Mischung schafft spannende Diskussionen und ermöglicht unterschiedliche Perspektiven auf das Thema Agroforstwirtschaft. Im vergangenen Wintersemester 24/25 organisierten Marco und Leonie das Modul, die als Tutor*innen die inhaltliche Gestaltung und Koordination der Veranstaltungen übernahmen. Interessanterweise saßen sie selbst in den vergangenen Jahren noch in den Vorlesungsreihen des Moduls und bringen nun ihre eigenen Erfahrungen ein. Wissenschaftlich betreut wird das Modul von Prof. Dr. Ralf Bloch und Prof. Dr. Tobias Cremer, die den Studierenden mit ihrer Expertise zur Seite stehen und die Agroforstmodellfläche der Hochschule als Langzeitstudie betreuen.
Das Modul gliedert sich in verschiedene Lehrformate und war im vergangenen Semester wie folgt aufgebaut:
Einführung durch die Modulverantwortlichen und Professoren
Grundlagen der Agroforstwirtschaft
Vorstellung der Modulstruktur und Prüfungsleistung
Fachvorträge externer Expert*innen
Jan Grundmann (Energy Crops GmbH): Agroforstwirtschaft mit Kurzumtriebsplantagen (KUP)
Philipp Paeslack (Projekt Resilia): Betriebe und Baumansprüche in Agroforstsystemen
Stefanie Albrecht: Food Forests als innovative Agroforst-Konzepte
Exkursionen zu Betrieben und Versuchsflächen
Praxisnahe Einblicke und Besichtigung verschiedener Agroforstsysteme
Prüfungsleistung: Wahl eines praxisnahen Projektthemas (mehr dazu weiter unten)
Exkursionen: Agroforst hautnah erleben
Neben den Vorlesungen bieten die Exkursionen einen direkten Einblick in die Praxis. In diesem Semester führten vier Exkursionen zu verschiedenen Agroforst-Standorten mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten:
1. Versuchsfläche „Ackerbau(m)“ der HNEE
Die 2017 angelegte Forschungsfläche im Löwenberger Land umfasst sowohl eine Pappel-Kurzumtriebsplantage (KUP) als auch ein silvoarables Agroforstsystem, in dem Bäume und Ackerbau gezielt miteinander kombiniert werden. Beim silvoarablen Agroforstsystem wurden in Dreiergruppen Baumarten wie Wildbirne, Speierling, Elsbeere, Traubeneiche und Baumhasel gepflanzt und mit 40 Meter Abstand in Reihen angeordnet. Der HNEE betreut die Bäume, während der zuständige Landwirt Herr Winter Getreide zwischen den Baumreihen anbaut. Bereits nach wenigen Jahren zeigen sich positive Effekte auf die Biodiversität und die landwirtschaftlichen Erträge. Die Versuchsfläche ist als Reallabor angelegt und ermöglicht Studierenden, die Fläche im Rahmen von Projektarbeiten auf unterschiedlichste Weise zu untersuchen – sei es durch Ertragsanalysen, Biodiversitätsmonitoring (Vögel, Käfer, Regenwürmer) oder Öffentlichkeitsarbeit. Die Projekte dienen als Grundlage der Prüfungsleistung.
Während der Exkursion erhalten wir zunächst eine Führung über die Flächen, bevor wir selbst mit anpacken. In Kleingruppen übernehmen wir praktische Aufgaben: Es wird gemäht, geräumt und gehackt, um den Boden um die Bäume zu lockern und den Grünstreifen für das kommende Frühjahr vorzubereiten. So erleben wir Agroforstwirtschaft nicht nur theoretisch, sondern auch hands-on in der Praxis.

2. Gut & Bösel
Gut & Bösel gilt als Vorzeigebetrieb für regenerative Landwirtschaft. Auf rund 3.000 Hektar werden verschiedene Agroforstsysteme erprobt; von silvoarablen Flächen, auf denen Bäume mit Ackerbau kombiniert werden, bis hin zu silvopastoralen Systemen mit Weidetieren. Schnellwachsende Baumstreifen wie Robinien und Pappeln dienen als Windschutz, während Obst- und Wertholzbäume langfristige Erträge sichern. Neben Agroforst setzt der Betrieb auf holistische Weidewirtschaft, Keyline-Design für optimiertes Wassermanagement*2 und Kompostwirtschaft zur Bodenverbesserung. Gut & Bösel erprobt Agroforstwirtschaft in vielfältigen Forschungsprojekten und zeigt, dass Agroforst nicht nur eine Nischenlösung ist, sondern auch im großen Maßstab funktionieren kann.
3. Behringhof
Der Behringhof in Leuen, Brandenburg, ist ein Bioland-zertifizierter Familienbetrieb, der nachhaltige Landwirtschaft mit Naturschutz verbindet. Seit 1992 bewirtschaften Susanne und Ralf Behring den Hof nach Bioland-Richtlinien. Auf 150 Hektar vereint er Ackerland, Grünland, Streuobstwiesen, Waldflächen und Heckenstrukturen zu einer ökologisch wertvollen Kulturlandschaft. Während der Exkursion lernen wir die Streuobstwiesen kennen und erfahren, welche ökologischen Vorteile Agroforst bringt und wie es über Naturschutzfonds finanziert werden kann. Zudem wird deutlich, welchen kulturellen Stellenwert Streuobstwiesen in der Region haben.
Die neun Hektar große Streuobstwiese ist ein besonderes Merkmal des Hofes. Hier stehen Obstbäume mit über 120 Apfelsorten, ergänzt durch Maulbeeren, Süßkirschen, Birnen, Quitten und Pflaumen. Eine Herde von 147 Mutterschafen sorgt für extensive Beweidung unter den Bäumen und fördert die Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität. Streuobstwiesen sind eine traditionelle Form der Agroforstwirtschaft, die hochstämmige Obstbäume mit landwirtschaftlicher Nutzung kombiniert. Sie bieten wertvollen Lebensraum, sind fester Bestandteil der Kulturlandschaft und leisten einen wichtigen Beitrag zum Schutz genetischer Ressourcen und zur nachhaltigen Agrarlandschaftsgestaltung.

4. WilmarsGaerten
Der landwirtschaftliche Betrieb WilmarsGaerten kombiniert Agroforstwirtschaft, Permakultur und Market Gardening*1, um eine nachhaltige und resiliente Landwirtschaft zu schaffen. Pappeln als Windschutzstreifen reduzieren die Verdunstung auf den Gemüsebeeten, während das Keyline-Design die Wasserverteilung optimiert. Besonders beeindruckend war unsere Begegnung mit Maria Gimenez, der Betriebsleiterin. Sie hat selbst erst vor wenigen Jahren mit Agroforstwirtschaft angefangen und zeigt mit ihrer Überzeugung und dem Betreib, dass Landwirtschaft regenerativ und wirtschaftlich tragfähig gestaltet werden kann. Ihr Mut, neue Wege zu gehen, und ihre entschlossene Art, Wissen zu teilen, inspirieren dazu, die Transformation der Landwirtschaft aktiv mitzugestalten. Die Exkursion verdeutlicht zudem, dass nachhaltige Landwirtschaft nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll ist. Der Betrieb WilmarsGaerten verzichtet bei der landwirtschaftlichen Produktion auf synthetische Dünger und erschafft dank einem durchdachten, naturnahen Konzept langfristig fruchtbare Böden und ein widerstandsfähiges Ökosystem.
Auch wenn die Exkursionen freiwillig sind, kann ich sie jeder*m empfehlen, denn sie bieten wertvolle Einblicke in die Vielfalt agroforstlicher Ansätze. Besonders inspirierend war es, die Menschen hinter den Projekten kennenzulernen; Pionier*innen, die mit ihrem Wissen, ihrer Leidenschaft und ihrem Innovationsgeist den Wandel aktiv vorantreiben.
Prüfungsleistung mit kreativer Freiheit
Wie bereits erwähnt, ist die Prüfungsleistung eng mit der Projektarbeit auf der Ackerbau(m)-Versuchsfläche verknüpft. In Kleingruppen (2–5 Personen) wählen die Studierenden zu Beginn des Semesters ein praxisnahes Thema. Die Projekte variieren je nach Jahreszeit und den anstehenden Aufgaben. Sie reichen von praktischen Arbeiten wie der Hackschnitzelverarbeitung der Pappeln der KUP, der Messung des Ertragszuwachses der Wertholzbäume bis hin zur Produktion von Kurzfilmen über die verschiedenen Arbeiten auf der Agroforstmodellfläche. Die Vielzahl der Themen und die Möglichkeit zur freien Projektwahl führten zu hoher Motivation und großer Freude bei der Umsetzung.
Die gesamte Prüfungsleistung gliedert sich in:
der praktischen Projektarbeit – sei es auf dem Feld, im Labor oder auf kreative Weise im Studio
einem Vortrag über das Projekt
einer schriftlichen Hausarbeit
Fazit: Ein Modul mit Mehrwert
Das Modul „Agroforstsysteme“ bietet weit mehr als eine theoretische Einführung in ein landwirtschaftliches Konzept. Durch die Kombination aus interdisziplinärer Lehre, praxisnahen Exkursionen und flexiblen Prüfungsleistungen ermöglicht es eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Thema Agroforstwirtschaft. Für Studierende, egal aus welchem Studiengang, die sich für nachhaltige Anbausysteme, praxisorientiertes Lernen und innovative Kommunikationsformen interessieren, ist dieses Modul empfehlenswert.
Hier gibt es weitere Infos Ackerbau(m)-Modellprojekt unserer Uni.
Quellen:
*1 Market Gardening ist eine kleinflächige, intensive Form des Gemüseanbaus, bei der hochwertige, vielfältige Produkte mit minimalem Maschineneinsatz für den lokalen Markt erzeugt werden.
*2 Das Keyline-Design ist eine Methode zur Wasser- und Bodenbewirtschaftung, bei der die Landschaft entlang natürlicher Höhenlinien bearbeitet wird, um Regenwasser effizient zu verteilen, Erosion zu minimieren und die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern.
*3 Streuobstwiesen sind eine traditionelle Form der Agroforstwirtschaft, bei der hochstämmige Obstbäume mit landwirtschaftlicher Nutzung – meist Wiesen oder Weideflächen – kombiniert werden.
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