top of page

Zu Tisch bei Anne Wiedemann

Aktualisiert: vor 6 Tagen

Anne Wiedemann forscht und promoviert im Projekt “Inwert Ökosystem Schaf”. Es widmet sich der Entwicklung von Kommunikationsstrategien für eine bessere Sichtbarkeit der Schafhaltung und Honorierung der gesellschaftlichen Leistungen.


Was und wo haben Sie studiert?

Urheberin: HNEE
Urheberin: HNEE

Ich habe vor 15 Jahren an der HNEE Ökolandbau & Vermarktung studiert, später auf Höfen gearbeitet und einen Regionalladen geleitet. In meinem Master Öko- Agrarmanagement (ÖAM = OLE- Vorgänger) wollte ich meinen Fokus mehr auf die Schafhaltung legen, zu Beginn vor allem aus einem textilen Interesse heraus.


In welchem Projekt arbeiten Sie an der HNEE und wie kamen Sie dazu?

In meiner Masterarbeit untersuchte ich die Marktpotentiale von Schafwollpellets und musste bald die untergeordnete wirtschaftliche Rolle der Wolle zur Kenntnis nehmen. In meinem ersten Kooperationsprojekt „Wertschöpfungskette Lammfleisch“ konnte ich die Wichtigkeit des Schaffleisch-Verkaufs als Einnahmequelle für die Schafhaltenden kennen lernen. Mein Interesse für die Schafhaltung hat mich also von der Masterarbeit, über ein Kooperationsprojekt hin zu meiner Promotion “Inwert Ökosystem Schaf” geführt. Ich bin den Schafen treu geblieben und das Projekt läuft noch bis 2026. Mein Promotionsbereich ist Marketing und Konsumforschung. Ich möchte mit meiner Arbeit dazu beitragen die Kommunikation und die Aufmerksamkeit zu verbessern, um die Schafhaltung wirtschaftlicher zu machen.


Das erste Arbeitspaket war eine Literaturrecherche darüber, welche Ökosystemleistungen überhaupt durch die naturnahe Schafhaltung erbracht werden. Mit der Problemstellung, dass sie in Deutschland stark zurückgeht, aber wichtige gesellschaftliche Leistungen und Ökosystemleistungen erbringt.


Im nächsten Arbeitspaket bin ich noch drin, da habe ich mich mit dem Schaffleisch beschäftigt. Ich musste erkennen, dass es kaum Sinn macht, mich auf die Schafwolle zu stürzen, weil das Einkommen der Schäfer*innen daraus wirklich im Null-Komma-Bereich liegt. Der Verkauf von Schaffleisch macht aber ein Drittel des Einkommens aus. Zwei Drittel sind Einnahmen aus Agrarumweltmaßnahmen, also der Landschaftspflege. Der Verkauf von Schaffleisch ist eine Möglichkeit, dass die Schafhaltenden aus einer finanziellen Abhängigkeit herauskommen und einen Bereich, den sie durch aktives Marketing und Zielgruppenansprachen selbst steuern können. Also habe ich geschaut: Wer sind die Zielgruppen? Wie kann man sie ansprechen? Darüber hinaus habe ich Personen mit Migrationsgeschichte in Berlin für eine esskulturelle Studie befragt: Was unterscheidet Personen, die eine Esskultur mit Schaffleisch haben - bedingt durch ihre internationale Familiengeschichte? Was führt dazu, dass sich eine schafffleischbetonte Esskultur entwickelt? Wie kann man diese Perspektiven in Deutschland esskulturell mehr einbeziehen und ansprechen? Denn Lamm- und Schaffleisch ist in der hiesigen Esskultur eher marginalisiert.


Das nächste Arbeitspaket, das in den nächsten Monaten folgt, sind touristische Dienstleistungen. Wir verbinden Schafhaltung oft mit Ästhetik, aber auch mit Tourismus. Wenn man irgendwo eine Radtour macht und die Schafherde auf dem Deich oder Magerrasen sieht, dann ist das ein schöner Anblick. Wie kann dafür eine Honorierung aussehen, sodass Menschen das bewusster wahrnehmen und wertschätzen? Das letzte Arbeitspaket, was ich schon immer gern beackern wollte, ist die Wolle. Da muss ich schauen, ob es zeitlich gesehen noch dazu kommt. Aber wenn, dann könnte ich schauen: Was sind die Potenziale von regionaler Wolle? Der ganze Überbau dabei ist, dass die Schafhaltung zurückgeht: Wie können wir das aufhalten? Denn sie erbringt wichtige Leistungen.


Was liegt heute auf Ihrem Schreibtisch?

Heute bin ich dabei, Interviews zu codieren. Da habe ich Personen mit einer schaffleischbetonten Esskultur befragt, was sie mit Schaffleisch verbinden. Dann schreibe ich einen Artikel für die Zeitschrift Schafzucht über Strategien zur Ansprache von geeigneten Zielgruppen (Unterstützer:innen und Skeptiker:innen) für Schaffleisch. Die Unterstützer*innen haben oft eine starke Verbindung zur Schafhaltung und schätzen die gesellschaftlichen Leistungen. Das kann durch Markenbildung (z.B. Holles Schaf, Weidewonne) oder durch solidarische Strukturen wie Schafpatenschaften genutzt werden. Skeptiker*innen sehen den Eigennutzen in dem Produkt noch nicht, sind aber aufgeschlossen. Sie könnten durch Verkostungen und Vermittlung der Wichtigkeit der Schafhaltung, z.B. Hochwasserschutz, Biodiversitätserhalt oder artgerechte Tierhaltung eingebunden werden.


Was waren Ihre schönsten, besondersten, lehrreichsten Erfahrungen im Projekt?

Erfüllend ist die Zusammenarbeit mit anderen Projekten. Ich bin mit meiner Promotion an der Uni Göttingen angeschlossen, in einem Forschungsprojekt zur Image- und Absatzprofilierung von Schaf- und Ziegenprodukten (Milch und Fleisch). Dort hat sich gezeigt, dass der Käse eine gute Möglichkeit für Konsument*innen ist, in die Schaf- oder Ziegenhaltung und deren Bedeutung einzusteigen. Gemeinsam mit dem Projekt reffiSchaf (FÖL), das sich zum Ziel gesetzt hat, massentaugliche Produkte aus Altschaf herzustellen, haben wir einen Vortrag bei der BioFach 2025 gehalten. Es ist schön, in einem zwar sehr nischigen Thema Kolleg*innen zu finden, die etwas Ähnliches machen, sich auszutauschen und in der Wichtigkeit der Thematik bestärken zu können. Auf der Kooperationsebene finde ich lehrreich, dass man zusammen einfach stärker ist. Das ist kein neues Mantra, aber schön zu sehen, dass wir gemeinsam mehr schaffen können und dass es total Sinn ergibt, sich auszutauschen - Feedback zu den eigenen Sichtweisen und Forschungsergebnissen bekommen. Gerade bei der Promotion rutscht man aus meiner Erfahrung schnell in einen wissenschaftlichen Elfenbeinturm, deshalb ist mir Kooperation statt Isolation wichtig. Auf einer artenreichen Schafweide stehen und das Treiben der Herde und das Können von Schäfer*in und Hund zu beobachten, sind natürlich auch Highlights meiner Arbeit.


Besonders lehrreich waren auch die Interviews. Zu sehen, wie funktionieren meine Fragestellungen in der Praxis, wie ist es, in so ein Feld einzutauchen? In meinem Fall brauchte es einiges an Zeit, Anpassung und Geduld, um Zugang in schaffleischbetonten Esskulturen zu bekommen.


Gibt’s Transferaktivitäten - in und aus der Praxis?

Ich spiegele meine Ergebnisse meistens dem Schafzuchtverband Berlin-Brandenburg zurück. Meine Beiträge erscheinen in der Schafzucht, dem Magazin für interessierte Schafhaltende. Wir sind dabei eine Internetseite aufzubauen, weil wir bereits einige Kommunikationsmaterialien wie Image-Filme, Postkarten, Sticker und Banner zum Selbstdruck entwickelt haben. Das trägt alles zur besseren Sichtbarkeit der Schafhaltung in Brandenburg / Berlin  bei.


Gibt es ab und an auch Kontakt zu unseren Studis? Betreuen Sie Abschlussarbeiten oder sind in der Lehre dabei?

In der Lehre habe ich einen Vortrag im Sensorik-Modul von ErnA gehalten. Da ging es darum, wodurch eine Kaufabsicht am Beispiel von Lamm- und Schaffleisch geprägt wird. Ich habe bereits eine Masterarbeit und einen Praktikumsbericht betreut, als eine Person beim FÖL im Projekt reffiSchaf ihr Praktikum gemacht hat.


Das heißt, wenn jemand Interesse hat, im Themengebiet Schafhaltung eine Projekt- oder Abschlussarbeit zu schreiben, wären Sie Ansprechpartnerin?

Ja, das mache ich immer sehr gern. Muss ich dann schauen, ob das thematisch passt, aber da gibt es viele Möglichkeiten …

Comments


bottom of page