top of page

Wahren oder wehren // Blockwoche im Unteren Odertal



Die Blockwoche lädt LaNus dazu ein, den Hörsaal zu verlassen und frische Mailuft zu schnuppern. Diese Möglichkeit nutzten wir im Rahmen des Moduls Grenzüberschreitender Naturschutz und Regionalentwicklung und durchstreiften drei Tage lang das Untere Odertal.

Los ging es am Montag bei bestem Reisewetter am Campusteich. In Kleinbussen fuhren wir mit unseren Oder-Expert*innen Dr. Jana Chmieleski, Laura Danzeisen und Paul Venuß nach Stepnica ans Stettiner Haff. Dort empfing uns Artur Furdyna. Der Ichthyologe beteiligte sich auch am letzten Jungstörbesetz bei Schwedt. Das Naturschützer auf deutscher und polnischer Seite agieren und mit dem Nachbarland kooperieren, ist unerlässlich. Schließlich sind beide Staaten für den Nationalpark Unteres Odertal verantwortlich. Der Fluss, der sie trennt, verbindet auch.


Rund fünf Stunden lang führte Artur uns durch Wälder, in die Auen und an die Deiche, die den Unterlauf der Oder begleiten. Da der im Vergleich zu anderen europäischen Flüssen noch sehr unverbaut und naturnah ist, leben hier Arten, die Naturfreunde von nah und fern anziehen.

Am Haff leben etwa besonders viele Fisch- und Seeadler. Die majestätischen Greifvögel sind hier leicht zu beobachten und locken Naturfotografen an die Odermündung. Wir sahen leider keinen der geschützten Vögel übers Wasser gleiten. Dafür fanden wir einen Tag später einen Seeadler im Wald; tot, vom Himmel auf einen Wurzelteller gestürzt, nicht von Aasfressern angerührt, also möglicherweise vergiftet.


Kulturlandschaft vom Menschen geformt und Wildnis stehen sich (im Oderbruch) seit jeher gegenüber. Ohne menschliche Baumeister wäre das Bruch eine riesige Moorlandschaft, immer wieder vom Fluss überflutet. Es gäbe kein Potpourri aus Gräben, Kanälen, Deichen, Schleusen, Wehren, Flussarmen, stehenden Altwässern oder Poldern. Diese eingedeichten Gebiete sind das ganze Jahr begehbar und werden als Grünland, manchmal als Ackerland genutzt (Trockenpolder) oder nur im Sommer und im Winter überflutet (Nasspolder). Durch diese Flutung werden sie gedüngt und reinigen gleichzeitig das Oderwasser, denn Schlamm und Schwebstoffe bleiben auf den Flächen zurück.


Diese vielfältigen Lebensräume beheimaten zahlreiche Arten, wie den Wachtelkönig, der nur auf regelmäßig gemähten Wiesen lebt. Wo das Gras zu hoch wächst, etwa in Wildnisgebieten, kann er nicht auf Nahrungssuche gehen. Er profitiert also von der menschgemachten Kulturlandschaft.

Ein anderer Odertalbewohner schafft sich seine eigene; der Biber ist der größte tierische Wasserbaumeister. Im Nationalpark staut er munter Fließgewässer nach seinen ganz eigenen Vorstellungen. Er schafft vielfältige Strukturen, bringt etwa Totholz in die Flusslandschaft, und schafft Habitate für viele andere Arten. Nur der Mensch sieht ihn nicht immer gern an „seinem“ Fluss werkeln.


Im Stettiner Haff erhebt sich eine Insel wenige Meter über die Wasseroberfläche. Sie ist bewaldet, Brutstätte einer großen Kormorankolonie, wird manchmal für ein paar Tage von Survival-Campern besiedelt. Vor 90 Jahren aber existierte sie noch gar nicht! Nur, weil im Haff eine Fahrrinne für die Schiffe ausgebaggert wurde und viel Aushub anfiel, wurde der mal eben zu einer Insel im flachen Wasser aufgeschüttet. Wir umrundeten sie bei Sonnenuntergang mit einem Katamaran (untermalt von polnischen Shanty-Liedern), ganz unlike LaNu.

Unser erster Tag an der Oder ging zu Ende. Wir fuhren zu unserem Quartier in Mescherin, wo wir unsere Zelte direkt am Ufer der Westoder aufschlugen.

Wer sich am Morgen früh aus dem Schlafsack schälte, konnte a) den Sonnenaufgang und b) seltene Bewohner der Flussaue beobachten. Begleitet vom Gesang des Drosselrohrsängers schwamm ein Fischotter ganz nah am Campingplatz vorbei.



Um 7 Uhr erwartete uns Frauke Bennett zu einer Wanderung rund um Mescherin, in den Gartzer Schrey. Dort sahen wir wild wachsenden Auwald, Bauwerke des Bibers und einen Rehbock, der durch die Oder schwamm. Hier standen einst beliebte Ausflugslokale direkt an der Wasserkante. Von ihnen sind nur vereinzelte Betonbänke zurückgeblieben, die sich in hüfthohem Gras verstecken.

Im Trockenpolder „5/6“ wird das Gras noch jeden Sommer gemäht. Trotz der landwirtschaftlichen Nutzung sollen auch Wiesenbrüter eine Chance haben, hier ihre Küken großzuziehen. Den Spagat zwischen Ökonomie und ökologisch verträglicher Bewirtschaftung soll das dynamische Grünlandmanagement schaffen. Das erklärten uns Nanett Nahs und LanNu-Absolvent Michael Voigt von der Nationalparkverwaltung Unteres Odertal. Die Nutzung sollte zeitlich abgestuft stattfinden, nach und nach jeweils auf kleineren Teilflächen. Je später im Jahr gemäht wird, desto besser für die Vögel, die im Polder nisten. Aber desto schlechter für den Landwirt, denn mit der Zeit sinkt die Heuqualität.


Über Schöpfwerke und Auslassbauwerke wird der Wasserstand im Polder reguliert. Michael Voigt demonstrierte uns, dass per Hand eingestellt wird, wie viel Wasser die gezogenen Gräben von den Flächen leiten. Mit einem Bolzenschlüssel wird der Pegel an Auslassbauwerken reguliert.

Anders sah es im Polder „10“ aus. Die Natur erobert Teile des Oderbruchs zurück, wo der Mensch sie lässt. So auch bald in diesem ausgewiesenen Wildnispolder, in den uns Lanu-Alumni Tim Bornholdt am Nachmittag führte. Hier sind die Einlassbauwerke ganzjährig geöffnet. Durch ungestörte Dynamik des Wassers soll sich hier wieder ein natürlicher Auenabschnitt entwickeln.


Genauso darf das Oderwasser in den Staffelder Polder fließen, den wir am nächsten Tag besuchten. Dort führte uns Dr. Karolina Bloom, Vertreterin der Verwaltung der Landschaftsschutzparke der Woiwodschaft Westpommern, gemeinsam mit Dolmetscher Marcin Dziubek.

Dieser Polder ist der erste, dessen Deiche „geschlitzt“, also stellenweise abgetragen wurden. Er ist also endgültig aus der Nutzung genommen. Keine Kulturfläche mehr. Hier wird die Zeit zeigen, wie der Fluss sich sein Land zurückholt. Entgegen dem Leitsatz des Gewässer- und Deichverbandes Oderbruch: „Wahre (das Land) und wehre (dem Wasser“). Wir verließen den gefluteten Polder und fuhren durch das polnische Gryfino direkt am anderen Oderufer.


Nahe der Kleinstadt stehen Kiefern, die etwa 70 Jahre nach ihrer Pflanzung ein Mysterium sind. Warum wachsen sie wie umgekehrte Fragezeichen? Wurde ihnen als junge Bäume einmal die Spitze gekappt und ein Seitenast trieb neu aus? Waren es böse deutsche Fabrikanten, die sie in diese Form quälten, um aus ihnen Schaukelmöbel zu machen? Liegt es nicht doch am gestörten Magnetfeld unter dem Krzywy Las, dem Krummen Wald? Oder, wie Frau Bloom und Herr Dziubek erzählten, wuchsen die jungen Bäume in den 60er Jahren um große Rohre herum, die hier für den Bau eines Kohlekraftwerks zwischengelagert wurden? Wir wissen es nicht. Aber besagtes Kohlekraftwerk existiert noch und erzeugt Energie aus dem fossilen Bodenschatz. Kohle wird in Polen im doppelten Sinn gefördert. Es gibt Subventionen (die die polnischen Steuerzahler finanzieren) für jede Tonne Kohle; außerdem gibt es eine Extrasteuer auf die Einspeisung von Windenergie ins Stromnetz. Die macht den Ausbau erneuerbarer Energien unrentabel.


Da das Kühlwasser des Kraftwerkes wohltemperiert wieder ausgeleitet wird, tummeln sich angeblich auch Exoten, Kois und monsterhaft große Fische darin. Wenn wir uns den Krzywy Las so betrachten, könnte da was Wahres dran sein.

Um uns für den Heimweg zu stärken, machten wir noch einmal Halt in Criewen. Während unseres Mittagessens in einer Nationalpark-Partner-Gaststätte trafen wir Iwona Porygala und Katrin Große.

Sie erklärten uns das EU-LEADER-Programm und wie touristische Betriebe mit dem Nationalpark kooperieren können. Wenn etwa Restaurantbetreiber*innen sich mit den Zielen des Parks identifizieren, diese auch ihren Gästen nahe bringen und zusätzlich ressourcensparend wirtschaften, werden sie als Partner ausgezeichnet. Dann dürfen sie wiederum damit werben, offizielle Nationalparkpartner zu sein.

Gefüttert mit diesen Informationen (und Kartoffeln mit Kräuterquark) besuchten wir noch einmal kurz das Nationalparkzentrum Criewen. Eine interaktive Ausstellung entführt die Besucher dort ins Untere Odertal, bevor sie es selbst betreten. Criewen gilt als das Tor zum Nationalpark. Aber nicht für uns, denn wir verließen das Odertal durch dieses „Tor“.

Sommerwetter begleitete uns auf der Fahrt zurück nach Eberswalde und die Wasserarme des Oderlandes glitzerten im Sonnenschein. Wir schauen sicher bald wieder vorbei!

Wer wie wir eine faszinierende Auenlandschaft kennenlernen möchte, mehr über Wasserbauwerke, FFH-Arten, Kulturgeschichte und Menschen im Unteren Odertal erfahren will, sollte sich unbedingt das Modul Grenzüberschreitender Naturschutz fürs nächste Sommersemester vormerken.

Es lohnt sich – denn Naturschutz kennt keine Grenzen!

bottom of page