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AutorenbildMirjam Röder

Buch „Akademischer Kahlschlag“: Interview mit Herausgeber Ulrich Schulz

Vermutlich seid ihr schon einmal an der viereckigen Metallsäule im Erdgeschoss von Haus 5 (Stadtcampus) vorbeigelaufen – falls nicht, seht ihr sie auch auf einem der Fotos unten. Diese Säule ist ein Denkmal für die erzwungene Schließung der damaligen Forstfakultät der Berliner Humboldt-Universität am Standort Eberswalde im Jahr 1963. Für die restliche DDR-Zeit wurde hier zwar noch geforscht, es durfte jedoch keine Lehre mehr betrieben werden. Erst 1992 konnten sich wieder Studierende an der neu gegründeten Fachhochschule Eberswalde (ab 2010 dann HNEE) immatrikulieren. Mehr über die Zeit der Hochschulschließung und das Buch darüber, an dem er mitgearbeitet hat, erzählt Prof. Dr. Ulrich Schulz im Interview.

Ulrich Schulz mit Buch „Akademischer Kahlschlag“ (Foto: Mirjam Röder)

Hallo Herr Schulz, danke, dass Sie sich für dieses Interview Zeit genommen haben! Woher kam die Idee, ein Buch über die Geschichte der HNEE zu schreiben?

Mein Vater Horst Schulz hat hier in Eberswalde Forstwirtschaft studiert und als er starb, habe ich in seinem Nachlass Unterlagen aus der Zeit der Hochschulschließung gefunden. Unter anderem ein Foto genau des HNEE-Gebäudes, in dem ich damals gerade ein Büro bekommen hatte! Daraufhin habe ich weiter recherchiert – ich wusste zwar schon ein paar Dinge über diese Zeit, aber mein Vater hat nicht gern darüber gesprochen und so waren viele der Informationen neu für mich.


Wie und warum kam es zur Schließung? (Anm. d. Redak.)

Der DDR ging es Anfang der 1960er Jahre wirtschaftlich schlecht, daher wurde versucht, unter anderem im Bildungsbereich finanzielle Mittel einzusparen. Für die forstwirtschaftliche Lehre gab es dabei mehrere Ideen, wie dies erreicht werden könnte:

  1. Beide forstwirtschaftlichen Fakultäten in Eberswalde und Tharandt (Sachsen) erhalten, aber an beiden Standorten jeweils mehrere Institute zu einem größeren zusammenfassen.

  2. Eine der Fakultäten komplett auflösen.

  3. An einem der Standorte keine Lehre mehr betreiben, sondern nur noch ein Forschungsinstitut.

Die Entscheidung fiel auf den letzten Vorschlag, d.h. in Eberswalde durfte zwar noch geforscht werden, jedoch keine Lehre mehr stattfinden. Als Begründung wurde angegeben, dass die Forststudierenden in Eberswalde angeblich zu wenig politische Bildung im Sinne der DDR-Führung erhielten. Mehr darüber lest ihr im Buch ab S. 314.


Wie haben Sie dann weiter recherchiert, Herr Schulz?

Erinnerungsstele für die erzwungene Schließung der Hochschule in Haus 5 (Foto: Mirjam Röder)

Ich bin ins Stasi-Unterlagenarchiv in Berlin gegangen und habe Einsicht in die Akte meines Vaters beantragt, außerdem Zeitzeug*innen befragt und einige Publikationen aus der Zeit nach dem Mauerfall gelesen. Anschließend habe ich zum damaligen Hochschul-Präsidenten Prof. Dr. Wilhelm-Günther Vahrson gesagt – und er hat mir darin zugestimmt – dass zur Identität der HNEE auch ihre Geschichte gehört und dass sich die Hochschule mit dieser beschäftigen sollte, auch und gerade mit den nicht so schönen Anteilen.


Herr Vahrson hat die Gelder zur Finanzierung beantragt und in Zusammenarbeit u.a. mit Frau Ulrike Poppe von der Stasi-Unterlagenbehörde wurde dann das Projekt gestartet. Im Jahr 2013, also zum 50. Jahrestag der Schließung, fand eine Tagung und Podiumsdiskussion mit DDR-Historiker*innen und Zeitzeug*innen statt, es gab einen begleitenden Film dazu und in Haus 5 wurde eine Erinnerungsstele aufgestellt (siehe Foto). Ein Buch war zunächst gar nicht vorgesehen, aber insbesondere die Zeitzeug*innen hatten noch so viel zu erzählen, dass wir doch einen Historiker, Burghard Ciesla, mit einem Buch über diese Zeit beauftragt haben.


Hinweistafel neben dem Denkmal (Foto: Mirjam Röder)

Von der Idee bis zum fertigen Buch dauerte es dann aber noch lange?

Ja. Herr Ciesla und sein Mitautor Prof. Dr. Hans-Friedrich Joachim haben immer mehr Informationen gefunden, sich teilweise auch ein wenig in Details verloren und das Buch wurde immer dicker. Und dann starben beide Autoren, bevor das Buch fertig war.


Ich ließ mich überreden, das Buch fertigzustellen, obwohl ich Biologe und kein Historiker bin und es eigentlich anmaßend fand, ein Fachbuch zu einem historischen Thema zu schreiben. Deshalb habe ich an den Texten der beiden Autoren auch nichts geändert, sondern sie nur zum Teil in eine andere Reihenfolge gebracht, nicht fertiggestellte Abschnitte entfernt und dies durch „[...]“ im Text kenntlich gemacht.

Im Jahr 2022 konnte das Buch dann endlich erscheinen und wird, soweit ich gehört habe, sehr positiv aufgenommen – nicht nur von Hochschulangehörigen, sondern ebenso von Eberswalder*innen, die mehr über die Geschichte ihrer Stadt lernen möchten. Das Buch ist meiner Meinung nach auch wirklich spannend geschrieben, da die Autoren Fakten und Zeitzeug*innenaussagen gut in historische Zusammenhänge eingeordnet haben und nicht einfach nur in chronologischer Reihenfolge Ereignisse aufzählen.


Der Vorschlag für den Buchtitel „Akademischer Kahlschlag“ stammte von Ulrich Schulz. Damit sollte ein Bezug zur Forstwirtschaft und zu Eberswalde (Forstakademie) hergestellt werden. Kahlschlag ist eine Metapher für den drastischen Eingriff in die DDR-Hochschullandschaft durch die Schließung, aber auch für das Neue, das später auf der "Kahlschlagfläche" gewachsen ist (Fachhochschule Eberswalde bzw. spätere HNEE) - s. Buch S. 24.


Wie aufwändig war die Recherche für das Buch?

Am Anfang habe ich einige Publikationen zur Hochschulgeschichte gelesen und ein paar Zeitzeug*innen befragt, das war nicht so aufwändig. Die Hauptarbeit hatten hier die beiden Buchautoren, vor allem Herr Ciesla, der viele Stunden mit der Suche nach und Befragung von weiteren Zeitzeug*innen und mit der Recherche in Archiven verbracht hat.

Ich hatte dann zum Ende hin noch einmal mehr zu tun, als es darum ging, die Notizen aus dem Nachlass der beiden Autoren zu einem sinnvollen Text für die letzten Buchkapitel zusammenzusetzen. Außerdem hatten Ines Höhne von der Landesforstanstalt Brandenburg, Cornelia Beutel von der HNEE-Bibliothek und ich recht viel Arbeit damit, zu den einzelnen Kapiteln passende Fotos auszuwählen und in Zusammenarbeit mit Zeitzeug*innen herauszufinden, welche Personen auf diesen Fotos abgebildet sind. Einige der Bilder stammen aus dem Film zum Buch, dafür habe ich also viel Zeit vor dem Computer verbracht, um genau an den richtigen Stellen im Film auf Stopp zu drücken und Screenshots zu machen.


Sind Folgebände für das Buch geplant? Es endet ja mit dem Jahr 1963.

Geplant ist dazu bisher nichts, ich fände aber weitere Bücher zur Geschichte der HNEE sehr sinnvoll. Vor allem zur Hochschulgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus, auch weil das wichtig ist, um die DDR-Zeit und die Umstände, die zur Hochschulschließung führten, richtig zu verstehen. Der jetzige Präsident Prof. Dr. Matthias Barth teilt meine Meinung dazu und hat mich gebeten, in diese Richtung zu recherchieren, was ich auch gern tue. Erst einmal werde ich einen kurzen Aufsatz mit Fallbeispielen aus der HNEE zur Zeit des Nationalsozialismus schreiben; ob dann daraus irgendwann ein ganzes Buch entstehen wird, kann ich noch nicht sagen.

Um Bücher über die neuere HNEE-Geschichte zu verfassen, ist es meiner Meinung nach noch zu früh. Das sollte man erst in einigen Jahren tun, wenn man das Geschehen mit mehr Abstand im Rückblick betrachten kann.


Was waren besonders interessante Dinge, die Sie und die Autoren durch die Arbeit an dem Buch herausgefunden haben?

Ich fand es erschütternd, wie schnell auf ein totalitäres System, das sich ins Hochschulleben einmischte, gleich das nächste folgte (wenn auch mit einer anderen politischen Ausrichtung) und vor allem, welche Auswirkungen das auf die Hochschule hatte – durch die Schließung wurden so viele Biografien gebrochen.

Sehr beeindruckend fand ich, wie gut hier gearbeitet und geforscht wurde trotz der unangenehmen Atmosphäre und obwohl zahlreiche Hochschulangehörige (darunter auch mein Vater) Eberswalde und die DDR verlassen haben.


Vielen Dank für das Interview!



Das Buch „Akademischer Kahlschlag“ (Autoren: Burghard Ciesla und Hans-Friedrich Joachim; Hrsg.: Ulrich Schulz) kann in der HNEE-Bibliothek ausgeliehen werden. Wer sich für die Geschichte der Hochschule interessiert, sollte es auf jeden Fall lesen! Dafür müsst ihr allerdings etwas Zeit mitbringen, denn das Buch ist ziemlich dick (einschließlich Anhang gut 400 Seiten).


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